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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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übernehmen würde. Comino ist eine kleine, dünn besiedelte Felseninsel zwischen den Hauptinseln Malta und Gozo. Die Tradition erzählt, dass 1288 die Insel dem aus Spanien geflohenen jüdischen Propheten Abraham ben Samuel Aboulafia als Zuflucht diente. Im 15. Jahrhundert errichteten dann die Ordensritter einen Verteidigungsposten gegen die Piraten. Heute wohnen im alten Fort nur einige Landwirte, die Ziegen und Schweine züchten und spärliche Kräutergärten pflegen. Hier würde – meinte Vater – Don Antonino eine neue Aufgabe finden und die nötige Ruhe zur Rekonvaleszenz. Ich senkte die Augen auf meinen Teller, löffelte die Hühnersuppe und sagte kein Wort. Auf Comino gab es eine kleine Kapelle, einen Leuchtturm, einen Polizeiposten und
einen Campingplatz. Das war alles. Nur die Küste, die senkrecht abfiel, verbarg ein blaues Lagunenwunder, eine Traumwelt für Taucher. Don Antonino aber, der nie einen Fuß ins Meer gesteckt hatte, würde nichts davon haben. Hätte man ihn ins Exil verbannen wollen, wäre man nicht anders vorgegangen.
    Und noch eine letzte Überraschung hielt die Zukunft für uns bereit. Einige Tage nach Schulanfang wurde Peter, der mit dem Fahrrad zum Unterricht fuhr, auf einer einsamen Wegstrecke von einem Mann angehalten. Peter bekam ein mulmiges Gefühl, als der Fremde ihm den Weg versperrte. Der Mann sah wenig vertrauenswürdig aus und hatte es womöglich auf sein Taschengeld abgesehen.
    »Peter Micalef?«, fragte er knapp. Er hatte die Pranke auf sein Lenkrad gelegt, und Peter bekam große Angst. Eine Entführung gegen Lösegeld war nicht auszuschließen. Seine Eltern galten als vermögend, und weit und breit war kein hilfreicher Autofahrer in Sicht. So nickte er nur, misstrauisch und verwirrt, während die schwarzen Augen des Fremden ihn durchdringend musterten.
    »Kennst du ein Mädchen namens Alessa Zammit?«
    Er sprach den schleppenden Dialekt der Bauern, den der Unterricht bei Giovanni ausgelöscht hatte, sodass ihm nur noch die kehlige Aussprache der Konsonanten geblieben war.
    »Sie geht mit mir in die Klasse«, antwortete Peter unsicher.
    »Ich habe etwas für sie«, sagte der Mann. »Du musst es mitnehmen und ihr geben. Willst du es tun?«
    »Ja, ja klar, selbstverständlich«, stammelte Peter, worauf der Fremde einen Gegenstand aus der Hosentasche zog. Peter sah, dass es ein Portemonnaie war. Der Mann sah zu, wie Peter es hastig in seinem Schulranzen verstaute, dann nickte er kurz, entfernte sich und war ein paar Sekunden später in den Ginsterbüschen verschwunden.
    Als ich Mutters Geldbeutel öffnete, kurz bevor die Schulglocke
zum Unterricht rief, sah ich, dass er kein Geld mehr enthielt, dafür aber Ausweis und Führerschein. Ich schüttelte das Portemonnaie ein wenig, und da fiel ein kleiner, vertrockneter Klatschmohn heraus, der dunkelrot in meiner Handfläche schimmerte, wie ein einziger Tropfen Blut.

26. Kapitel
    D as Leben ging weiter, und das eben begonnene Schuljahr verstrich. Nicht in Windeseile – wie es mir nachträglich vorkam, aber ich hatte ziemlich lange meine Aufgaben vernachlässigt. Jetzt holte ich alles nach. Obwohl ich mich nur undeutlich an die Reihenfolge dieser Tage erinnere, weiß ich noch, dass Peter und ich gute Schüler waren und dass von Giovanni keiner mehr redete.
    Pünktlich und erfolgreich bestanden wir unsere Aufnahmeprüfung und wechselten die Schule. Jetzt gingen wir aufs Gymnasium. Wir lernten, wir hatten unseren Freundeskreis, Gleichaltrige, mit denen wir ausgingen. Wir vergnügten uns laut und unbekümmert, durchtanzten die Sommernächte. Weltentsagung und Flucht war unserem Alter nicht angemessen. Die Wirklichkeit spricht eine fordernde Sprache. Keine junge Seele hält es allzu lange in der Melancholie aus; sie musste wieder eintauchen in die unruhigen Gewässer des Lebens. In dieser Zeit geschah auch für mich eine Verwandlung: Unter Peters Augen wurde ich zur jungen Frau. Ich sehe diese Zeit wie einen Schnappschuss aus den Ferien, der lediglich den Zweck erfüllt, dem Gedächtnis zu bestätigen, was früher war. Vertiefe ich mich in die Erinnerungen, merke ich, dass aus der Wiederholung von einmal Gelebtem allmählich etwas Klares entsteht. Ja, es war genau in dieser Zeit, dass Peter und ich zueinanderfanden.
    Sein Vater wollte, dass er Medizin studierte, er sollte die Praxis übernehmen. Er wäre auch dafür gewesen, wenn Peter
sich in einer Klinik einer gut bezahlten Spezialisierung widmete, damit sein Ansehen wuchs und sein

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