Mondtaenzerin
Vergangenheit geht in die Gegenwart. Was war, wird nie mehr sein, oder anders.
Meine Gruppe, bunt zusammengewürfelt, wartete vor dem Hotel. Sie waren gestern erst angekommen. Ich stellte mich vor, sprach die Begrüßungsworte, fragte nach dem Flug, berichtete, dass es auf Malta noch warm sei, aber nicht zu heiß, denn es wehte ein starker, erfrischender Wind. Während der Fahrt hatte ich Ruhe, sah aus dem Fenster. Wo mochte Giovanni jetzt sein? Wann würde ich ihn wiedersehen? Wir durchfuhren verkehrsreiche Straßen. Dicht belaubte Bäume warfen Schatten auf ockerfarbenen Putz, halbgeschlossene
Jalousien beschützten dämmrige, kühle Räume. Die Touristen filmten die vorspringenden Holzbalkone. Die Blätter der Kastanienbäume waren schon hart und halb verbrannt, eine Droschke, gezogen von einem munteren Pferd, fuhr die Straße hinauf, die Hufe erzeugten ein Prasseln kleiner Steine. Auch die Droschke wurde gefilmt. Die Bauten saugten die erste gelbe Hitze auf, der Tag war noch lang, wir hatten noch viel zu sehen: Museen, Kirchen, die Prunkbauten der Johanniter. Ich hatte so viel zu erklären. Ich hätte lieber geschwiegen, doch das wäre nicht professionell gewesen. Ich funktionierte fehlerfrei. Wir aßen am Meeresufer zu Mittag, aus den Straßen kam Hitze, vom Meer stieg Frische auf, ein fruchtiger Geruch nach Tang. Die kleinen Boote, blau und türkisfarben gestrichen, entzückten die Besucher. Ich erklärte die Bedeutung des gemalten Auges am Bug, der vor dem »bösen Blick« schützte, ein Symbol, das aus Afrika kam. Das Essen war vorzüglich, ich ließ die Weinkarte kommen, empfahl einige maltesische Sorten; die meisten allerdings tranken nur Tafelwasser oder Bier. Als alle unter sich ins Gespräch verwickelt waren, erhob ich mich diskret, ging in Richtung der Toilette. Nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, klaubte ich mein Handy aus dem Rucksack und gab Peters Nummer ein. Ich hörte sofort seine verhaltene Stimme. Er hatte erst um eins Mittagspause und wusste, dass ich ihn nicht ohne Grund stören würde.
»Ich muss dich sehen«, sagte ich halblaut. »Aber nicht bei mir zu Hause.«
»Was ist los?«
Ich schluckte.
»Peter, Giovanni ist wieder hier.«
Kurzes Schweigen. Dann, mit Argwohn in der Stimme:
»Wo wohnt er? Bei dir?«
»Nein. Aber er kann jederzeit vorbeikommen. Ich bin mit Touristen in St. Paul’s Bay unterwegs, aber um fünf habe ich frei. Ich würde dich lieber in Mosta treffen.«
»Hör mal«, sagte er, »du bist heute schon genug rumgefahren. Ich komme nach St. Julian.«
»Arbeitest du nicht?«
»Nein, die Pizzeria ist montags geschlossen. Heute ist mein freier Abend. Um sieben, geht das?«
»Gut«, sagte ich.
Wir verabredeten uns in St. Julian, in einer Snackbar, die wir beide kannten. Für Peter dauerte die Fahrt mit dem Bus kaum vierzig Minuten. Nach dem Essen besuchte ich mit meiner Gruppe den wunderschön erhaltenen Palazzo Parisio, ein Privathaus, das Napoleon 1798 während seiner Landung auf Malta zu seinem Quartier gemacht hatte. Der Palast mit seinen Wandmalereien war der Öffentlichkeit eigentlich nicht zugänglich. Aber ein fröhlich geschwätziger Historiker, der Napoleon sehr respektlos und ironisch schilderte, wollte den Palazzo besuchen, und ich hatte die notwendige Erlaubnis eingeholt. Während der Besichtigung hatte ich nicht viel zu sagen: Der Historiker dozierte selbst. Das war an diesem Tag genau das Richtige für mich. Danach brachte ich meine höchst zufriedene und müde Gruppe wieder zum Phoenicia zurück. Unser Chauffeur wohnte in St. Julian, sodass ich gleich mitfahren konnte. In der Snackbar waren noch wenige Leute zu dieser Zeit. Ich suchte die Toilette auf und machte mich frisch. Kaum saß ich wieder an meinem Tisch, als Peter erschien. Er kam von draußen, aus dem Sonnenschein, blickte sich um, etwas gedankenverloren, und ging in die falsche Richtung. Endlich sah er mich und kam erleichtert auf mich zu. Sein gutherziges Lächeln blitzte kurz auf. Er setzte sich, warf seine Tasche neben sich auf den Stuhl und blickte auf mein Mineralwasser.
»Ich habe auch Durst.«
Ich hielt ihm mein Glas hin. Er nahm einen langen Schluck.
»Danke. Es war warm in Mosta. Die letzten Hitzewellen.«
Der Kellner kam mit der Karte. Ich dachte, ich bringe keinen Bissen hinunter, bestellte aber Salat mit Ziegenkäse.
»Ich nehme das Gleiche«, sagte Peter.
»Hast du keinen Hunger?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich esse jeden Abend Pizza, massenhaft. Ich habe schon
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