Mondtaenzerin
aus der Hand geglitten wäre.
Verblüfft fragte sie: »Was ist das?«
Ich antwortete mit schlechtem Gewissen, wir hätten sie in Hal Saflieni gefunden.
»Ihr strolcht ja immer irgendwo herum«, sagte Mutter kopfschüttelnd. »Zeig die Figur mal deinem Vater!«
Meine Erziehung war weniger streng gewesen als die hierzulande übliche, aber gewisse Formen hatte man mir beigebracht: sich gerade halten bei Tisch, nicht mit vollem Mund reden und keine Speisereste mit dem Fingernagel zwischen den Zähnen wegholen. Man hatte mir auch beigebracht zu klopfen, wenn ich zu den Eltern wollte und die Tür geschlossen war. Und jetzt klopfte ich und hörte Vater zerstreut »Ja, komm nur!« brummen. Er saß vor seinem Arbeitstisch, drehte mir halb den Rücken zu und gab irgendeinen Bericht in seinen Computer ein. Im Gegenlicht sah ich sein Profil, das irgendwie Ähnlichkeit mit dem Profil Giovannis hatte, das glänzende, leicht gelockte Haar. Seine Hände und Füße waren klein für einen Mann, er hatte im Laufe der Jahre zugenommen, doch es stand ihm nicht schlecht, und wie er da saß, vor ihm die zugezogenen dunkelgrünen Vorhänge, damit ihn das Licht aus dem Fenster nicht blendete, zeigte er ganz das Bild eines Mannes, der im Begriff war, es in seinem Leben zu Ansehen zu bringen.
Er tippte seinen Satz zu Ende und wandte mir das Gesicht zu.
»Ja, Alessa. Was gibt es denn?«
Ich hatte die kleine Tonfigur wieder sorgfältig eingewickelt. Vater sah leicht ungeduldig zu, wie ich sie aus dem Taschentuch befreite.
»Ich soll sie dir zeigen, hat Mama gesagt.«
Als ich die Schlafende auf seinen Schreibtisch stellte, runzelte er die Stirn.
»Zerkratz mir die Tischplatte nicht!«
Doch kaum hatte er das gesagt, weiteten sich seine Augen
bereits vor Überraschung. Er sah auf die Figur, dann auf mich, hob sie behutsam in beide Hände, betrachtete sie ungläubig und äußerst genau. Mir kam in den Sinn, dass jeder Mensch, der kein rohes Herz hatte, diesem Kunstwerk die gleiche faszinierte Aufmerksamkeit schenken würde. Schließlich hob er den Blick. Seine Stimme klang belegt.
»Wo hast du sie gefunden?«
Auf das Verhör war ich angstvoll gefasst gewesen.
»In einem Loch«, erwiderte ich zurückhaltend. Man konnte es nehmen, wie man wollte, es entsprach ja auch der Wahrheit. Vaters Augen ließen nicht von mir.
»In einem Loch?«, wiederholte er zweifelnd.
»Ja, wir haben dort gespielt und ein bisschen in der Erde gewühlt. Und da kam sie zum Vorschein.«
»Wer war dabei?«
»Peter und Vivi und … Giovanni.«
»Wer ist Giovanni?«
»Der neue Junge«, antwortete ich widerstrebend.
»Du meinst, in deiner Klasse?«
»Erst im nächsten Jahr«, sagte ich. »Sein Onkel meint, dass er vielleicht eine Klasse überspringen darf.«
»Wer ist denn sein Onkel?«
Ich hielt meinen Blick auf meine Füße gerichtet.
»Er ist Priester«, sagte ich, was Vater auf der Stelle beruhigte und ihn veranlasste, die Schlafende genau und eingehend zu betrachten. Schließlich brach ich das Schweigen.
»Ist sie sehr alt?«
Er sah auf.
»Ich nehme es an, bin mir aber nicht sicher. Ich werde sie Ralph zeigen. Professor Sandri, du weißt schon. Er kennt sich in diesen Dingen aus. Wie lange hast du die Figur schon bei dir?«
»Seit zwei Wochen ungefähr.« »Warum hast du sie mir nicht schon früher gezeigt?«
»Ich wusste nicht, dass sie dich interessieren würde.«
»Das hättest du dir doch denken können.«
Hier war der Augenblick, mich aus der Schusslinie zu bringen. Ich sagte: »Eigentlich ist es Giovanni, der die heilige Puppe gefunden hat.«
Er starrte mich an.
»Warum nennst du sie die heilige Puppe?«
Ich wurde ein wenig rot.
»Einfach so«, sagte ich.
»Diese Figur ist kein Spielzeug«, sagte Vater in strengem Tonfall. »Der Junge wusste wahrscheinlich nicht, dass sie einen Wert haben könnte.«
Ich fühlte mich verpflichtet, Giovanni zu verteidigen.
»Er sagte von Anfang an, dass sie in ein Museum gehört.«
»Oh«, erwiderte Vater anerkennend. »Wie alt ist dieser Junge denn?«
»Fast elf.«
»Wie lange kennst du ihn schon?«
»Nicht lange.«
»Intelligenter kleiner Bursche!«, meinte Vater. »Ich gratuliere ihm. Wie heißt er denn mit Nachnamen?«
»Weiß ich nicht«, sagte ich, was zu jener Zeit der Wahrheit entsprach. »Aber seine Familie ist nicht sehr reich«, setzte ich zur Vorsicht hinzu.
»Auch Kinder aus ärmeren Familien können es im Leben zu etwas bringen, wenn sie das Zeug dazu haben«, sagte Vater, der
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