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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Sprache, die das Wesentliche und Letzte auszudrücken vermochte. Küssten wir uns, war es nicht nur die Hitze unseres Blutes, die zum Ausdruck kam, sondern das Andere, das Innerliche. Und auf unserer Stirn lag der Glanz des Paradieses.
    Das Paradies? Ach ja! Wo mochte es sein? Giovanni hatte es zunächst in der kühlen, beruhigenden St. Gillian Church gesucht. War die Kirche leer, er mit ihr ganz allein, vermeinte er eine Verheißung zu spüren, die Entstehung eines Wunders. Am Anfang ging er lange und still unter den Rundbogen umher, starrte an den Säulen empor ins Sonnenlicht, das edelsteinfarben von seitwärts kam. Er betrachtete die Vorhänge aus rotem Atlas, die eingravierten Wappen in den Fliesen des Bodens, ging an wuchtigen Chorstühlen aus geschnitzter Eiche vorbei, an Fresken, Gemälden und Statuen. Er hob seine Blicke zum Altar empor, wo Staubteilchen in der Schwebe hingen und vor den hohen, strahlenden Fenstern zu Farbe wurden. Täglich und zu bestimmten Stunden erklangen Kirchengesänge, die Luft duftete nach Weihrauch. An den großen Feiertagen, zu Weihnachten, zu Ostern und zu Pfingsten war die Kirche mit Blumen und Girlanden geschmückt. Männer und Frauen bewegten sich hinter Weihrauchschleiern, und Chorknaben sangen mit süßer, feiner Stimme. Der Geruch von Weihrauch
und geschmolzenem Wachs vermischte sich mit dem Duft der Lilien, die in Garben auf den Chorstufen und Altartischen standen. Die Priester in ihren goldglitzernden Gewändern fielen unablässig auf die Knie, die andächtige Menge tat es ihnen nach, und jede Bewegung war wie ein Flügelrauschen. Aber Giovanni mochte es, wenn die Bänke leer waren und die Kirche nur für ihn da war. Vor dem Altar brannten Wachskerzen in glitzernden Muranoleuchtern, erzeugten einen fahlen Dunst, der nach Honig duftete, und im Helldunkel wisperte das rot glühende ewige Licht sein Versprechen. In Alabastervasen standen künstliche Blumensträuße in Rot, Rosa und Weiß, den echten wunderbar nachgebildet. Langsam ging Giovanni dem Altar entgegen, bemüht, seine Schritte lautlos zu halten. Bei den Stufen hielt er inne, den Kopf zurückgeworfen, nahm alles in sich auf. Wohin sein Auge sich wandte, sah er nur Goldstickereien, Stein- und Lichtgefunkel. Immer wieder setzte ihn der melancholische Prunk in Erstaunen. Der Glanz berauschte ihn, dass es ihn schmerzte. Er fühlte sich dunkel und namenlos wie ein Eindringling inmitten des Reichtums der Welt. Sobald die Ergriffenheit tief genug war, kniete er auf den Bodenplatten nieder und betete. Aus seinem innersten Wesen heraus versuchte er die richtigen Worte zu finden. Nicht jene, die er gelernt hatte, sondern schlichte, alltägliche Worte, die seiner eigenen Art entsprachen. Wunder entstehen aus Gedankenkraft. Giovanni konzentrierte seinen Geist, aber das logische Denken rückte die Dinge immer wieder in eine andere Perspektive. Er ließ die Augen auf irgendwelchen geometrischen Linien ruhen, blickte an den Säulen empor und berechnete ihre Höhe. Dabei stellte er sich oft Fragen über die Architektur und überlegte, wie weit sie das Gedächtnis der Vergangenheit ist – ähnlich fasziniert vom nur noch ahnbaren Leben der Alten, wie es einmal Piranesi gewesen war, dessen Radierungen ihm Don Antonino gezeigt hatte. Und am Ende musste er mit einem leichten Gefühl der
Peinlichkeit einsehen, dass er nicht bei der Sache war. Auf diesen unklaren Gedankenwegen blieb der Trost aus, das Wunder kam nicht zustande. Giovanni fand in der Kirche nicht das Größere, nach dem er sich sehnte. Er wurde viel zu leicht aus sich selbst herausgerissen. Ihm kam es so vor, als suche er in der falschen Richtung, aber das lag natürlich an ihm, weil ihm Neugier und Verstand immer wieder im Weg waren. Er bekreuzigte sich mit schlechtem Gewissen, ging um ein paar Säulen herum, auf den Raum zu, wo die Votivgaben hingen. Die Wände waren voll davon: Krücken, künstliche Handgelenke, Kinderkleidchen, vergilbte Briefe und Fotos von Unfällen, gestiftet von den Leuten, die der heilige St. Gillian beschützt oder geheilt hatte. Sogar ein Fahrrad war an der Wand befestigt und ein Motorradhelm. Doch in diesem Raum voller tiefer, feuchter Schatten war es, als ob die Dinge sich auflösten in verkohltes Schwarz, die Hände ohne Arme, die Augen ohne Gesicht, die kleine Zelluloidpuppe. Mit einem Frösteln im Rücken ging Giovanni zu den Vitrinen, wo die Reliquien aufbewahrt wurden, betrachtete die Stückchen Knorpel, die Gebissteile, die

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