Moni träumt vom großen Glück
bezahlt. Vielleicht wäre das etwas für Dich. Weit ist es nicht, die zehn Kilometer kannst Du leicht mit dem Rad bewältigen, und wenn nicht, dann verkehren auch Busse. Ich wollte es nur erwähnt haben.
Nun grüß Deine Mutter sehr herzlich. Ich denke so oft an sie.
Und laßt Euch die Schokolade gut schmecken. Es ist wohl besser, daß ich Dir verrate, woher ich den Karton habe, damit Du nicht denkst, daß ich mit meinem Spargeld den Leichtsinn begangen habe: Ich habe selbst die Schachtel von »meiner Gnädigen’ bekommen. Wir bekamen alle einen Karton zu Ostern – die Köchin, das Stubenmädchen, das Kinderfräulein und ich. Ich mache mir selbst wenig aus Süßigkeiten, und ich wüßte niemanden, dem ich das lieber schenken möchte als Dir.
Ich denke oft an das verzweifelte kleine Mädchen, das mir damals die Tür bei Familie Clausen aufmachte, als der Gérard so jämmerlich schrie. Ich danke dem lieben Gott, daß er mir damals den Mut gegeben hat, runterzugehen, zu klingeln und zu fragen, ob ich helfen könnte.
Möge es mir nur vergönnt sein, Dir auch weiterhin zu helfen, Moni, wenn Du mal Hilfe brauchst.
Alles, alles Gute wünscht Dir
Dein Freund Marc.“
Ich las den Brief zweimal, dreimal, viermal. Ich war so glücklich! Die letzten Zeilen las ich ein fünftes Mal. Als ich Mutti kommen hörte, stürzte ich ihr entgegen.
„Mutti, guck, ich habe einen Brief von Marc, und ein Geschenk! Hier, lies doch!“
Mutti lächelte und schüttelte den Kopf.
„Nein, vielen Dank, Moni. Das möchte ich nicht.“
„Möchtest du es nicht?“
„Nein, das möchte ich nicht. Aus zwei Gründen. Erstens ist der Brief für dich. Das mußt du wissen: man zeigt nie einer dritten Person einen Brief ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Absenders.“
„Aber Mutti, du liest doch immer meine Briefe von Opa.“
„Allerdings. Weil ich in diesem Falle weiß, daß es in Opas Sinn ist, und weil die Briefe gewöhnlich für uns beide sind, wenn sie auch oft an dich adressiert sind. Natürlich gibt es Fälle, wo man so hundertprozentig sicher sein kann, daß der Absender nichts dagegen hat, aber grundsätzlich sollst du nicht Briefe vorzeigen. Denk dir, wenn du nun selbst einem guten Freund schreibst, du würdest gar nicht glücklich sein, wenn du wüßtest, er zeigte den Brief anderen Menschen!“
Ich dachte nach, dann nickte ich.
„Du hast recht, Mutti. Ach, wie bist du doch ein ganz furchtbar prächtiges Mädchen, du solltest eingerahmt und ausgestellt werden. Na, und was ist nun der zweite Grund?“
„Der zweite Grund ist beinahe so schwerwiegend wie der erste! Siehst du, Moni, dies ist ein Brief, den du vorzeigen könntest. Du wirst vielleicht mehr Briefe kriegen, die du mir zeigen möchtest. Aber eines Tages, Moni – das wird ganz bestimmt geschehen – kriegst du Briefe, die du fürdich behalten möchtest, und denk bloß daran, wie peinlich es für uns beide sein würde, wenn du mir plötzlich nichts zeigst! Wenn etwas in dem Brief ist, das du mir gern erzählen möchtest, dann tu es; wenn etwas dabei ist, das du mit hundertprozentig gutem Gewissen vorlesen kannst, dann tu meinetwegen das auch. Ich wollte dir nur klarmachen, daß du nie einer dritten Person einen Brief hinlegen sollst!“
„O Mutti, du bist manchmal so klug, daß ich einfach nicht begreife, daß du meine Mutter bist!“
Dann las ich Mutti ausgewählte Stücke aus Marcs Brief vor, und wir saßen mit dem Osterei-Karton zwischen uns und teilten brüderlich den Inhalt. Die Schokolade schmeckte nach wie vor unheimlich gut.
Am folgenden Tage radelte ich zum Café Elmenfrieden und bekam die Wirtin zu fassen. Es stimmte, sie würde demnächst Extrakräfte für den Sonntag einstellen. Eine halbe Stunde später war alles zwischen uns geregelt. Ich sollte am Karfreitag anfangen und von zwölf bis um fünf Uhr nachmittags arbeiten. Nach dieser Zeit würde der Strom von Sonntagsgästen abnehmen. Dann würde sie es ohne Extrahilfe schaffen. Der Lohn, den sie mir bot, war gut, und ich war höchst zufrieden, als ich nach Haus radelte. Ich schrieb Marc einen langen, dankbaren Brief.
Zu meiner großen Freude wurde ich als Serviererin eingesetzt. Ich hatte immer Angst gehabt, daß ich in der Küche landen sollte. Als Serviererin hatte ich die Möglichkeit, zusätzlich Trinkgeld zu verdienen, und das war mir sehr willkommen. Aber daß die Arbeit als Serviererin so anstrengend sein konnte, davon hatte ich keine Ahnung gehabt. Wenn jeder Tisch besetzt war, wenn
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