Monkeewrench 04 - Memento
schlechtes Gewissen. Es war nicht direkt mutwillige Täuschung, kam dem aber sehr nahe. «Das kann man im Augenblick überhaupt nicht sagen. Wir wissen ja nicht einmal, was genau hier vorgefallen ist. Aber einiges von dem, was Sie mir am Telefon gesagt haben, lässt mich Schlimmes vermuten.»
Stedman warf einen Blick auf das gelbe Absperrband, das sie vor die Tür des Büros gespannt hatten. «Das gefällt mir schon mal überhaupt nicht.» Er ging hin und schaute in das Büro hinein.
«Im Moment ist das eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wir haben nicht viel Blut gefunden, das habe ich Ihnen ja schon erzählt. Vielleicht liegt nicht einmal ein Verbrechen vor, sondern nur irgendein Unfall.»
«Das glaube ich nicht.» Stedman blickte grimmig drein. «Ich will Ihnen sagen, wie so was läuft. Wenn die Kerle rauskommen, überwachen wir sie ziemlich streng, vor allem die Wiederholungstäter, die das System zum zweiten oder dritten Mal durchlaufen. Man weiß nie, was solche Typen als Nächstes tun, also halten wir uns genau an die Vorschriften. Mehr als genau. Wenn der Mann also gestern nicht zum vereinbarten Termin erschienen wäre, hätte Doyle mich gleich angerufen, aber zuallererst hätte er Haftbefehl erlassen. Hinzu kommt, dass Weinbeck sich gestern bis zur Sperrstunde nicht in der Anstalt gemeldet hat. So etwas hat ebenfalls automatisch einen Haftbefehl zur Folge, deshalb habe ich auch versucht, Doyle zu erreichen. Der Mann war hier, verlassen Sie sich drauf. Jetzt ist er auf der Flucht, und er ist äußerst gewalttätig. Sieht also alles gar nicht gut aus.»
Tinker bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. Das alles bestätigte nur, was sein Gefühl ihm schon die ganze Zeit sagte, doch es gefiel ihm trotzdem nicht, es von jemand anderem zu hören. Er warf einen Blick auf die Aktentasche, die Stedman bei sich hatte. «Danke, dass Sie das vorbeigebracht haben. Bei dem Wetter jagt man ja eigentlich keinen Hund vor die Tür.»
«Kein Problem. Ich habe gerade zwei Tage in einem Haus mit sechzehn Ex-Häftlingen mit Lagerkoller verbracht. Bevor ich Ihnen das zeigen darf, muss ich Ihren Ausweis sehen.»
Tinker gab ihm seinen Polizeiausweis und wartete, während Stedman erst den Ausweis, dann sein Gesicht und dann wieder den Ausweis musterte. «Gut, Detective. Hatten Sie schon Gelegenheit, nach Doyles Kopie der Akte zu suchen?»
Tinker nickte. Er hatte die letzten zwanzig Minuten damit verbracht, mit Latexhandschuhen sämtliche Papiere und Ordner auf und um Steves Schreibtisch durchzublättern, und hatte sogar in die verschlossenen Schubladen geschaut. «Weinbecks Name taucht nirgendwo auf, nur in Steves Kalender, wo er sich den gestrigen Termin notiert hat.»
Stedman seufzte und ging zu einer gepolsterten Bank an der Wand hinüber. Er setzte sich, stellte die Aktentasche vor sich auf den Boden und zog einen dicken Ordner heraus. «Kurt Weinbeck hat drei von fünf Jahren in Stillwater abgesessen. Am Freitag wurde er in die Bewährung entlassen, unter der Bedingung, dass er sechs Monate bei mir und meinen Jungs verbringt.»
«Wofür saß er denn?», fragte Tinker.
«Dafür.» Stedman reichte ihm einen Stapel Fotos.
Selbst Officer Chalmers zuckte zusammen, als er das oberste Foto sah. «Mein Gott. Was ist das denn?»
«Das», erwiderte Stedman, «ist Weinbecks Frau, nachdem er das letzte Mal mit ihr fertig war. Sie war im achten Monat schwanger.»
Tinker sah sich das Foto genauer an. Jetzt, wo er wusste, was er vor sich hatte, sah er, dass es sich um einen Menschen handelte, doch das war wirklich schwer zu erkennen. Er sah die restlichen Fotos dieses völlig zerstörten Gesichts durch und legte sie dann mit der Bildseite nach unten auf die Bank. «Wollen Sie mir sagen, er hat nur drei Jahre für einen Doppelmord gesessen?»
Stedman seufzte und blätterte die übrigen Unterlagen durch, bis er den Krankenhausbericht der Ehefrau gefunden hatte. «Ob Sie's glauben oder nicht, sie und das Kind haben überlebt. Sie war ein halbes Jahr im Krankenhaus und hat dann zwei Jahre lang etwa eine Million Operationen über sich ergehen lassen, bis sie wieder halbwegs zusammengeflickt war. Und sie ist der Grund, warum ich wollte, dass Sie hier alles auf den Kopf stellen und nach Doyles Akte suchen. Nur dort ist nämlich die Anschrift der Frau verzeichnet.»
«Die haben Sie nicht in Ihrer Akte?»
«Niemand hat Zugang zu den Adressdaten von Opfern, die sich verstecken wollen, nicht einmal das Gericht. Doyle hatte die Adresse nur,
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