Monkeewrench 04 - Memento
den verschlossenen Parkplatz auf diese Straße. Und wie Sie sehen, ist die Straße so schmal, dass kein normal großes Auto darauf fahren könnte.»
Missmutig betrachtete Gino die dicht an dicht stehenden, hohen Bäume am Rand dieser Straße, die eigentlich eher wie ein Fahrradweg aussah. «Die Leute hier können also nicht mit dem eigenen Auto bis vor die Haustür fahren?»
«Richtig. Es führt kein direkter Weg zu dieser Straße. Sie beginnt und endet auf dem verschlossenen Parkplatz, den wir gerade verlassen haben.»
«Und was macht man, wenn man mit einer Ladung Einkäufe aus der Stadt kommt? Erst mal durchs ganze Gebäude latschen, um sich eins dieser Wägelchen hier zu schnappen? Klingt verdammt unbequem, wenn Sie mich fragen.»
Maggie lächelte ihm im Rückspiegel zu, und ihr Lächeln wirkte ein klein wenig boshaft. «Nicht so unbequem wie eine gebrochene Nase.»
Gino schwieg und schaute weiter aus dem Fenster. Jetzt kamen sie in ein Wohngebiet, das in etwa so aussah wie eine ganz normale amerikanische Kleinstadt vor hundertfünfzig Jahren, bevor die Straßen für den Autoverkehr verbreitert wurden. Ein idyllisches Bild aus lauter gleichförmigen, gepflegten Häuschen, die mitsamt den zurechtgestutzten Büschen, den niedlichen Laternenpfählen und einem Ensemble lachender, rotwangiger Kinder, die im Schnee spielten, geradewegs aus einer Fünfziger-Jahre-Fernsehserie hätten stammen können. Und jedes einzelne Kind, ohne Ausnahme, unterbrach sein Spiel und winkte dem vorbeifahrenden Wägelchen zu.
Gino stupste Magozzi an und fragte ihn leise: «Wann hat dir das letzte Mal ein Kind auf der Straße ohne ersichtlichen Grund zugewinkt?»
«Vor fünf Jahren. Der Knabe hat mir erst zugewinkt und mir dann einen Stein an die Heckscheibe geworfen.»
«Hab ich mir gedacht…»
Magozzi seufzte nur und betrachtete die vorbeiziehende Umgebung: ein offenes, parkartiges Areal mit einem Klettergerüst und anderen Spielplatzgeräten, daneben ein größeres Backsteinhaus, das ganz wie eine Schule aussah.
«Das sieht ja aus wie eine Schule», sprach Iris vom Vordersitz seine Gedanken aus.
«Das ist auch eine Schule», bestätigte Maggie. «Für die Kinder, die draußen vielleicht gefährdet sein könnten. Sie umfasst mehrere Klassen und ist vollständig anerkannt. Die meisten gehen allerdings auf normale Schulen.»
Je weiter sie in das Dorf hineinkamen, desto offensichtlicher wurde, dass die Schule, die Häuser und der Spielplatz gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs waren. Es gab noch vieles mehr: einen kleinen Kaufmannsladen, wenn auch mit Sicherheit ohne Kaufmann, einen Kosmetiksalon, ein hübsches Cafe, sogar ein Ärztehaus. Das perfekte Abbild einer perfekten Kleinstadt, der idyllische Schnappschuss traditionellen amerikanischen Lebens - zumindest auf den ersten Blick. Doch wenn man genauer hinsah, war es alles andere als traditionell, denn es lebten nur Frauen in dieser Stadt. Und das stimmte Magozzi aus irgendeinem Grund sehr traurig.
Julie Albright empfing sie an der Tür ihres kleinen Hauses, und alle, bis auf Maggie Holland, mussten sich sehr beherrschen, um bei ihrem Anblick nicht zusammenzuzucken. Ihr Gesicht sah aus wie ein äußerst schlampig zusammengesetztes Puzzle. Natürlich hatte Magozzi Ähnliches schon tausendmal gesehen, doch es schockierte ihn jedes Mal von neuem. Sie war so ein zierliches Persönchen, mindestens einen Kopf kleiner als er, und sie hatte aufmerksame, misstrauische Augen, in denen immer noch Reste vergangener Furcht lagen. Er fragte sich, ob die wohl je wieder verschwinden würden.
Schließlich traf ihr Blick seinen und verharrte dort. Das war eine seltsame Eigenschaft missbrauchter Frauen, dachte er. Egal, wie viele Polizistinnen bei solchen Einsätzen dabei waren: Letztlich suchten die Opfer doch immer Trost bei den Geschlechtsgenossen desjenigen, der sie so misshandelt hatte.
«Kommen Sie doch bitte ins Wohnzimmer, und setzen Sie sich.»
Sie drängten sich zu fünft in der winzigen, gekachelten Diele hinter der Haustür, und unter ihren Stiefeln bildeten sich kleine Pfützen aus geschmolzenem Schnee.
«Nein, vielen Dank.» Magozzi lächelte sie an. «Wir wollen Sie nicht unnötig aufhalten. Wir mussten uns einfach nur persönlich davon überzeugen, dass Sie den Ernst der Lage richtig einschätzen und es vorziehen zu bleiben, wo Sie sind.»
Julie Albright hatte sicher einmal ein hinreißendes Lächeln gehabt. Das konnte man jetzt nicht mehr behaupten. «Sie haben die
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