Monkeewrench 06 - Todesnaehe
zu schalten und Jagdfreizeiten unter echt indianischer Leitung anzubieten. Den Fremden machte es offensichtlich wenig aus, das Reservat gleich nebendran zu haben. Billy meinte sogar, viele wären extra deswegen gekommen, weil die verarmte Indianersiedlung ihrem Männerurlaub ein zusätzliches Element von Abenteuer und Risiko gab. Ihm war egal, was sie dachten, solange sie gutes Geld bezahlten und das Resort ihren Freunden weiterempfahlen.»
«Ganz schön schlaues Kerlchen», bemerkte Magozzi und hielt dabei nach weiteren drohenden Augen zwischen den Bäumen Ausschau.
«Es war ein Geniestreich», sagte Claude. «Nach ein paar Jahren waren Hotel und Jagdhütten fast das ganze Jahr voll mit Sportjägern, Schneemobilfahrern und Anglern, und mehr als die Hälfte der Einwohner im Reservat arbeitete für Billy. Das Geld floss, aber die Veränderungen im Reservat, die kamen so langsam voran wie ein einbeiniges Gürteltier, das kann ich Ihnen flüstern.»
«Stimmt», bekräftigte der Chief. «Wenn man einem mittellosen, ausgebrannten Volk plötzlich Geld für ehrliche Arbeit zahlt und nicht mehr nur Almosen, dann stellen sie mit diesem Geld merkwürdige Dinge an. Für jemanden, der jahrzehntelang in einer Papiertüte gehaust hat, ist ein Pappkarton der Inbegriff von Luxus. Es hat fast zwei Generationen gedauert, diese Einstellung zu ändern.»
«Gibt es Billy Eight-Toes denn noch?», wollte Gino wissen.
«Nein. Der arme alte Billy hat den Krieg einfach nicht aus dem Kopf gekriegt – wer schafft das schon? Und eines Abends hat er sich halb um den Verstand gesoffen und seinen neuen Pick-up vor einen Baum gesetzt.»
«Wie traurig.»
Claude bog erneut ab, diesmal auf eine Schotterpiste, die so schmal war, dass die Zweige der Bäume zu beiden Seiten den Wagen streiften. Der Chief zuckte die Achseln. «Traurig für Billy, aber für sein Volk hat er viel getan. Sein Erbe …»
«Ähm …» Magozzi tippte hektisch mit dem Finger an die Fensterscheibe. «Ähm …»
Der Chief drehte sich zu ihm um. «Was ist denn, Detective?»
Magozzi deutete weiter zum Fenster, brachte aber keinen Ton heraus.
Der Chief folgte Magozzis Finger mit dem Blick und lächelte breit. «Ich werd verrückt! Halt an, Claude. Wir haben einen Mukwa zu Besuch, extra zur Begrüßung unserer Freunde.»
«Ich seh’s.» Claude hielt an und schaltete bis auf die Nebelleuchte alle Lichter aus.
«Ach du Scheiße!», hauchte Gino, den Blick starr auf die massige Gestalt gerichtet, die sich jetzt aus dem Wald löste und direkt auf sie zukam.
«Das ist ja mal ein Trumm», sagte der Chief leise. «Hast du den Bärentöter mit, Chimook?»
«Der Teufel soll mich holen, natürlich nicht. Ich wollte unseren Detectives ja keine Angst machen.»
Magozzi und Gino schauten schweigend und mit offenem Mund aus dem Fenster auf den riesigen Bären, der ganz nah an den Rand der mickrigen Straße herangekommen war und nun dort herumschnüffelte. Die große schwarze Nase bebte, die misstrauischen Augen blieben starr auf den Geländewagen gerichtet. Vielleicht waren es ja auch hungrige Augen. Oder mordlüsterne.
«Der … der ist aber nah», stammelte Gino.
«Wunderschön, was?» In Claudes Stimme schwang Bewunderung mit. «Schauen Sie sich nur das Fell an. Was für ein tolles Tier!»
Der Ansicht war Magozzi allerdings auch – der Bär war tatsächlich schön und eindrucksvoll, majestätisch sogar. Doch dann erhob sich das Vieh auf die Hinterbeine, richtete sich zu seiner vollen Größe von fast zwei Metern auf und gab ein ausgesprochen böses Geräusch von sich. Auf Bärensprache hieß das wohl nichts anderes als: «Raus aus meinem Wald, aber ein bisschen plötzlich!»
«O Gott!» Gino vergrub sich tiefer in seinen Sitz. «Er wird uns töten. Da habe ich den Flug überlebt, und jetzt werde ich von einem Bären gefressen …»
«Er wird Sie nicht fressen», erwiderte Claude zuversichtlich. «Sie haben ihm doch gerade das Leben gerettet, ich hätte ihn sonst womöglich überfahren. Sie haben was gut bei ihm.» Damit legte er den Gang ein und ließ den Wagen langsam weiterrollen.
Sowohl Gino als auch Magozzi balancierten auf einem schmalen Grat zwischen Heidenangst und heimlicher Faszination, während sie den Bären im Schein der Rücklichter weiter beobachteten. Er ließ sich wieder auf alle viere sinken, trottete in die Mitte der Fahrbahn und erhob sich dann in einer letzten Drohgebärde noch einmal auf die Hinterbeine.
«Einen Bären aus solcher Nähe zu sehen ist
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