Monkeewrench 06 - Todesnaehe
Abenteuer spielen wollen, bevor sie wieder in Anzug und Krawatte bei Starbucks hocken. Solche Typen hatten in der Regel noch nie ein Gewehr in der Hand, deshalb lernen sie hier als Erstes den sicheren Umgang mit der Waffe und üben Zielschießen. Erst wenn sie das erfolgreich absolviert haben, dürfen sie für die Dauer ihres Aufenthalts ein Gewehr und ein bisschen Munition ausleihen. Für Sie lasse ich die Tür jetzt mal unverschlossen.»
Gino kratzte sich die Bartstoppeln, die sich über Nacht auf seinen Wangen gebildet hatten. «Echt nett von Ihnen, Chief, aber ich glaube, wir haben gerade nicht die Zeit zum Zielschießen.»
«Wer redet denn von Zielschießen, Detective?»
Während der Chief Kaffee machte, kehrten Gino und Magozzi ins Wohnzimmer zurück und sahen zu, wie der Eisregen sich langsam in Schnee verwandelte.
«Der Chief macht sich Sorgen», bemerkte Gino.
Magozzi warf einen Blick auf die Uhr und überlegte, wie weit die Telefonzelle, von der Grace angerufen hatte, wohl entfernt war. «Wir haben ihm gerade erzählt, dass demnächst eine Autoladung Leute bei ihm klingeln wird, die auf der Abschussliste von Terroristen stehen. Da darf er sich ja wohl Sorgen machen. Machst du dir etwa keine?»
«Doch, schon», räumte Gino ein, dann hob er plötzlich den Kopf und schnüffelte wie ein Suchhund in die Luft. «Riechst du das auch, Leo?»
Magozzi sog den beißenden Geruch von Marihuana ein, der aus dem Gang zwischen Küche und Wohnzimmer herüberdrang. «Na prima. Das fehlt uns gerade noch: ein bekiffter Gastgeber mit einem Zimmer voller Jagdgewehre.»
«Das ist kein Gras, Detectives.» Sie zuckten zusammen, als Claude verschlafen ins Zimmer trat. Er trug ähnliche Tarnkleidung wie der Chief. «Der alte Spinner räuchert schon wieder. Das ist nur Weißer Salbei, aber der riecht schlimmer als das billigste Kraut, das ich je geraucht habe, und hängt einem monatelang in den Klamotten.»
Der Chief kam zurück ins Wohnzimmer, in der Hand eine große Flussmuschelschale, aus der es qualmte. «Jeder nimmt sich eine Hand voll Rauch und wedelt ihn um sich herum.»
Claude verdrehte die Augen, tat aber, was ihm gesagt wurde.
«Wozu denn?» Gino hustete. «Was soll diese Räucherei?»
«Das ist ein Reinigungsritual. Es hält böse Geister ab.»
«Na, dann her damit.» Gino tat es Claude gleich. «Und das ist wirklich Weißer Salbei?», fragte er, während ihn der Rauch in Schwaden umgab, so dicht, dass ihm die Augen tränten.
«Ja. Ein Heilkraut. Sehr reinigend.»
«Und Sie sind sicher, dass es kein Gras ist?»
Der Chief bedachte Gino mit einem nachsichtigen Lächeln. «So wenig wie der Weihrauch, den Ihre Priester auf dem Weg zum Altar verfeuern. Die meisten Religionen haben sehr viel mehr gemeinsam, als man glaubt. Wir sind alle verschieden und doch alle gleich. Das hat in seiner Ausgeglichenheit etwas sehr Tröstliches, finden Sie nicht? So als wären wir alle nur verschiedene Stämme aus derselben Wurzel. Sie sollten sich jetzt hinlegen und noch ein, zwei Stunden schlafen, wenn Sie können.»
KAPITEL 43
A ls der Rastplatz gut fünfzehn Kilometer hinter ihnen lag, schlug leichter Regen an die Windschutzscheibe des Range Rover. Dreißig Kilometer weiter wurde der Regen unvermittelt zu Graupel und schließlich zu Eisregen. John saß am Steuer. Er musste das Tempo erheblich drosseln, weil die Räder auf der eisglatten Straße immer wieder durchdrehten und die Traktionskontrolle sich wiederholt einschaltete. Zwei Mal wäre er fast in den Straßengraben geraten und hatte, als er das Lenkrad wieder nach links drehte, eine Dreihundertsechzig-Grad-Drehung vollführt.
«Willst du lieber anhalten und abwarten?», fragte Grace vom Rücksitz.
«Nein. Das geht nicht. Aber es ist wahnsinnig anstrengend zu fahren. Wir werden häufiger wechseln müssen. Du bist dran, Harley.»
John kletterte nach hinten, und Harley nahm widerspruchslos seinen Platz ein. Eigentlich war er ein mit allen Wassern gewaschener Winterfahrer, doch auch er konnte den Wagen bei diesem elenden Wetter, das mit jeder Minute schlimmer wurde, kaum besser steuern als John. Wenn man über eine Eisbahn schlitterte, halfen einem weder Können noch Vierradantrieb und auch keine schicken automatischen Traktions- und Bremskontrollen ernsthaft weiter.
Nach vierzig Minuten hatte Harley auf Schritttempo verlangsamt, aber der Wagen schlitterte trotzdem immer wieder quer über die Straße. Auf der Windschutzscheibe sammelte sich das Eis schneller, als die
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