Monrepos oder die Kaelte der Macht
Kostengründen durfte er aber nicht mitreisen. Da die nunmehr dreiköpfige Familie gerade erst umgezogen war und Benny sich als quicklebendiger Nachtmensch entpuppte, störte ihn das in diesem Fall nicht. Doch nahm er sich vor, mit Wiener demnächst ein grundsätzliches Gespräch zu führen. Daß er tagaus, tagein in seinen fünfzehn Quadratmetern Schieferblick hockte und sich die Finger wund schrieb, während andere die Welt bereisten, kam nicht in die Tüte.
Bislang war das, was er sich aus vertraulichen Dossiers des Auswärtigen Amtes oder aus Fachzeitschriften anlas, immer genug, um vor den Chambers of commerce und Foreign councils bestehen zu können. Sollte Specht jedoch in diesem Tempo fortfahren, das diplomatische Parkett zu bohnern, würde er bald einen Informationsvorsprung besitzen, den Gundelach nie und nimmer mehr einholen konnte.
Für den Papierkorb aber arbeitete er nicht. Entweder bekam er die Chance, mit aus der Quelle zu trinken, oder Oskar Specht und Tom Wiener durften künftig selbst zur Feder greifen. Es schien ihm überhaupt an der Zeit, etwas bestimmter aufzutreten. Nach und nach hatte sich im Schloß ein Kreis von Mitarbeitern etabliert, die Specht aus seiner Fraktionszeit oder noch davor kannte. Ihre besondere Qualifikation bestand in der intimen Kenntnis des dichten Netzes kumpelhafter Beziehungen, die Oskar Specht in seinem Wahlkreis unterhielt. Diese Kontakte, um die er sich jetzt als Ministerpräsident nicht mehr so intensiv wie früher kümmern konnte, vor dem Erkalten zu bewahren, war der hauptsächliche Daseinszweck der Gruppe.
Sie wußte sich rasch mit einer Aura des Geheimnisvollen zu umgeben und tagte meist hinter verschlossenen Türen. Allgemeinzugängliche Akten wurden so gut wie nicht geführt, dafür mit um so größerer Hingabe telefoniert. In den Jackentaschen jede Menge CDU-Mitgliedsanträge, verwaltete man unter anderem Konten, auf denen Spenden für den Abgeordneten Specht oder für seinen Kreisverband eingezahlt werden konnten.
Bei Gustav Kalterer liefen die Fäden zusammen. Kalterer, dachte Gundelach, war für seine Aufgabe auf die Welt gekommen. Irgendwann hatte er zwar eine Prüfung abgelegt, die ihn in die Verwaltungslaufbahn reihte. Doch wenn er je normale Bescheide bearbeitet hatte, mußte er sie schon damals als geheime Kommandosache behandelt und vor neugierigen Blicken abgeschirmt haben. Hinter einer randlosen Brille kauerte ein Paar kieselgrauer Augen, der dünne, konturenarme Mund verschloß sein Wissen wie die Schalen einer Auster.
Kaum im Amt, legte sich Kalterer mit Willi Pörthner und der CDU-Landesgeschäftsstelle an. Die Voraussetzungen dafür waren günstig. Eingekeilt zwischen Staatskanzlei und Fraktion, Parteivorstand und Kreisgeschäftsführern, mußte Pörthner jeden Tag aufs neue um seine Position kämpfen. Zudem hatte der Landesverband Schulden in Millionenhöhe. Es war ein leichtes, jeweils eine Gruppe, die sich schlecht behandelt fühlte, gegen Pörthner aufzustacheln und Oskar Specht von dem Unmut, der sich da zusammenbraute, zu berichten.
Gundelach beobachtete das Treiben der parteipolitischen Prätorianergarde mit wachsendem Unbehagen. Zwar durfte er sich, solange Specht und Wiener seine Dienste schätzten, vor Kalterers Zugriff sicher fühlen. Daß Oskar Specht aber überhaupt einen Mann in seiner Nähe duldete, der einem Geheimdienst zur Ehre gereicht hätte, paßte nicht so recht ins Bild des jovialen Ministerpräsidenten, an dem man unter Zuhilfenahme der Medien erfolgreich arbeitete.
Ähnlich den Zuträgern aus seinem einstigen, immer noch wärmenden Wahlkreismilieu, gewannen einige Unternehmer an Einfluß, die dem jungen Abgeordneten Specht mit Rat und Tat bei der Erstürmung der Festung Monrepos geholfen hatten.
Soweit Gundelachs Einblick reichte, waren es vor allem gesellschaftliche Privilegien, die sie als Gegenleistung beanspruchten: das Recht, auf kurzem Weg mit Specht korrespondieren zu dürfen; die Aufnahme in alle wichtigen Einladungslisten des Protokolls; die Bevorzugung, bei Geburtstagen oder Firmenjubiläen den Ministerpräsidenten als Freund und Ehrengast begrüßen zu können. Specht kam diesen Verpflichtungen gewissenhaft nach. Im Tagesplan, dem für Mitarbeiter zugänglichen Terminkalender, tauchten die Präsenzschulden meistens unter dem Stichwort ›Privat‹ auf. Manchmal war auch nur eine Adresse angegeben, ohne Namensnennung.
Gundelach, damit beschäftigt, die durch kurzfristige Absagen etwas dünn gewordene
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