Monrepos oder die Kaelte der Macht
was? Er war zu träge, um es in Gedanken zu fassen.
Der Nachrichtensprecher verlas die Meldung, daß der Philosoph Herbert Marcuse, der auf die Studentenbewegung der sechziger Jahre maßgeblichen Einfluß genommen habe, einundachtzigjährig in Starnberg gestorben sei.
Marcuse. Die Kritische Theorie. Der Eindimensionale Mensch … Horkheimer, Habermas, Adorno, die Frankfurter Schule …
War es das?
Ach nein, es löste ja gar nichts mehr aus. Nicht einmal mehr eine Erinnerung, die haften geblieben wäre.
Hummer und Haferflocken
Oskar Specht war während des Sommerurlaubs nach Mexiko, Peru, Chile, Argentinien und Brasilien geflogen. Kaum zurück, bereitete er sich auf die nächste Reise vor. Sie führte nur an die Ostküste der USA, nach Washington, New York und Massachusetts, besaß aber besonderes Gewicht, weil es sein erster offizieller Auslandsaufenthalt als Ministerpräsident war.
Landtagsabgeordnete, Unternehmer und Journalisten drängten in die Delegation – begierig darauf, zu erfahren, wie der Neue seine internationalen ›connections‹, über die phantastische Gerüchte kursierten, handhabte; lüstern auch auf die Chance, sich dem immer heller strahlenden Kometen, dessen Schein das bislang eher verschlafene Land ins Licht unverhoffter allgemeiner Aufmerksamkeit tauchte, als kompetenter, weltläufiger Partner zu empfehlen.
Specht spürte den Erwartungsdruck und trieb seinen Stab an, ein Besuchsprogramm erster Güte zustande zu bringen. Zwar war auf ein Shakehands mit Präsident Carter vernünftigerweise nicht zu hoffen. Doch das konnte einleuchtend mit innenpolitischen Turbulenzen begründet werden, denen sich der von Rezession, Energiekrise und Inflation gebeutelte Mann aus Georgia ausgesetzt sah. Vizepräsident und Außenminister dagegen oblagen weltpolitischen Geschäften, wozu ein Kamingespräch mit Oskar Specht leider noch nicht gehörte.
Dafür wurde ein gewisser Mr. Newson, Staatssekretär für politische Angelegenheiten, angeboten.
Eine Frechheit! Niemand hatte je von diesem Menschen gehört. Das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft in Washington wurden mit Telexen zugedeckt. Specht verlangte Minister als Gesprächspartner. Schließlich führte er Vertreter von Daimler Benz und anderen Konzernen, potentielle Investoren allesamt, mit sich.
Daimler Benz? Den Namen kannten selbst die Schnösel vom State Department. Dann war Neil der Richtige für den Nobody aus Daimler Benz-Country, Neil Goldschmidt, der Verkehrs- und Transportminister. Der war gerade erst ernannt worden und vorher Bürgermeister von Portland in Oregon gewesen. Hatte nicht in der von der deutschen Botschaft übersandten Vita des Mr. Specht gestanden, er sei auch mal Bürgermeister gewesen? Na also.
Goldschmidt war gebont. Und bei Licht betrachtet, war er ein bedeutender Zeitgenosse. Schließlich wurde im amerikanischen Kongreß gerade heftig über Jimmy Carters Energiesparprogramm gestritten, das die Ausweitung des Omnibusverkehrs und die Entwicklung benzinsparender Autos propagierte. Über sechzehn Milliarden Dollar standen zur Verteilung an. Daimler Benz baute doch auch Omnibusse.
Die Sache hatte allerdings einen Haken: Der Konzern war gar nicht daran interessiert, in Amerika zu produzieren. Andere Spurbreite, unterschiedliches Achslast-Höchstgewicht – es rentierte sich nicht. Und Benzinsparen gehörte auch nicht zur obersten Firmenpriorität. Trotzdem reiste natürlich ein Vorstandsmitglied mit. Man entzieht sich nicht, wenn die Politik ruft.
Ein Minister war besser als nichts, aber immer noch zu wenig. Wieder glühten die Drähte. Wenn man schon mit hochkarätiger Wirtschaftsprominenz über den Teich flog und dem neuen amerikanischen Nahverkehrsprogramm die Ehre gab, durfte man wohl erwarten, über das ganze Energiesparprogramm aus erster Hand informiert zu werden. Seufzend gab die Botschaft dem Drängen nach, und siehe da: Auch Energieminister Charles Duncan hatte ein halbes Stündchen Zeit.
Das war nun schon eine Sache, die sich sehen lassen konnte. Einhundertzweiundvierzig Milliarden Dollar wollte Carter ausgeben, um seinen Landsleuten die ungewohnte Disziplin des Energiesparens nahe zu bringen. Den ›massivsten Einsatz von Mitteln und Ressourcen Amerikas in Friedenszeiten‹ hatte er das ehrgeizige Projekt genannt. Und Oskar Specht unmittelbar am Puls des Geschehens, während noch die Schlacht im Kongreß und im Repräsentantenhaus tobte!
Außerdem war Charles Duncan nicht irgendwer. Stellvertretender
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