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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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nicht weg. Irgendwann sagte er: Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wenn du nicht gekommen wärst, hätte ein anderer mich verdrängt.
    Gundelach weigerte sich, das zu akzeptieren. Er wollte sich schuldig fühlen an diesem Abend, um wiedergutmachen zu können. Entwarf Strategien, wie Weis besser eingebunden werden könnte. Faselte von einer neuen Redengruppe.
    Mein Gott, Dankwart, der Specht braucht dich doch dringender denn je! Und Wiener und alle anderen auch! Wir mit unserer beschissenen Halbbildung!
    Laß gut sein! sagte Weis, es hat keinen Zweck. Ich will nicht mehr. Aber du, paß du auf dich auf!
    Wie meinst du das? fragte Gundelach, schon benebelt.
    Nun, antwortete Weis unerschütterlich gelassen, Breisinger und Specht sind sich in einem recht ähnlich. Der eine hat zuviel Vergangenheit und der andere zu wenig Zukunft. Spring rechtzeitig ab, bevor Specht dich mit hinabzieht. Oder dich wegwirft. Mir scheint, er hat eine Neigung zu beidem.
    Dann rülpste er, endlich hörte Gundelach sein konvulsivisches Rülpsen wieder, und ihm war, als sei es genau das gewesen, was ihm gefehlt hatte, zuletzt.
    Irgendwie hatte der Ton sich in seinen dumpfen, einsamen Schlaf eingenistet; hatte als Schwingung in der Ohrmuschel überdauert, so daß, als das Telefon anschlug, der unwissende Vater sich noch ein Weilchen im Niemandsland der Ungebundenheit wähnen konnte, ehe ihn Schwester Annelies es schneidiger Weckruf übergangslos in die Zukunft beorderte, wo es von nun an gelten würde, für drei Gundelachs Sorge zu tragen.
    Benjamin sollte das jüngste Familienmitglied heißen, so es ein Junge wäre. Benjamin, genannt Benny. Willkommen, Benny, murmelte Bernhard Gundelach deshalb beim mühevollen Rasieren immer wieder, voll zärtlichem Stolz, willkommen, Benny. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie dieser Benny, dieses trotz aller Eingewöhnungsversuche immer noch rätselhafte Produkt seiner selbst, aussehen mochte.
    Im Bahnhofs-Blumenladen kaufte er langstielige rote Rosen, fünfzehn Stück. Das Krankenhaus lag still wie die Stadt; Besuchszeit war erst am Nachmittag. Gundelach klopfte zaghaft an die Tür zu Heikes Zimmer, die Stimme ihrer Bettnachbarin antwortete. Heike schlief noch immer. Bestürzend blaß sah sie aus, eingefallen und auf den Tod erschöpft. Er stand angewurzelt vor Schreck.
    Sie hat viel Blut verloren, sagte die Nachbarin gedämpft, aber es ist alles gut gegangen. Dann weinte sie ein bißchen, denn sie hatte vor zwei Tagen ein totes Kind geboren.
    Gundelach nickte und packte die Rosen aus, setzte sich auf einen Stuhl und wartete. Seltsamerweise dachte er überhaupt nicht mehr an das Kind. Nur darauf, daß seine Frau die Augen aufschlüge, wartete er, daß sie aus dieser furchtbaren Starre endlich erwachte.
    Dann ging alles schnell und gleichzeitig. Die Tür wurde ruckartig aufgestoßen, Schwester Anneliese schob ein Bettchen herein, grüßte und gratulierte, Heike öffnete verwirrt die Augen, begriff und streckte mit trockenem Schluchzen die Arme aus, Gundelach sank aufs Bett, und aus dem weißen Wägelchen ertönte ein dünnes, verzweifeltes Krähen: Benjamin.
    Das also war Benny. Eine winzige, schrumpelige Rothaut mit langen schwarzen Igelhaaren. Wie ein Baby aus der Werbung sah er nicht aus. Eher wie ein kleines zottiges Stofftier, dem man bis in den Hals schauen konnte.
    Während Bernhard Gundelach seinen Sohn betrachtete, breitete sich eine Art feierlicher Stille aus. Es war, als erwarteten die Frauen sein Urteil. Nur Benny schrie und wurde, weil er darüber das Luftholen vergaß, noch röter.
    Gefällt er dir? fragte Heike leise.
    Sehr, antwortete ihr Mann. Aber wie kommen Sie darauf, daß es ein kräftiges Kind sei?
    Bei irgend jemandem mußte er seine Ratlosigkeit abladen.
    Weil es so ist, sagte Schwester Anneliese bestimmt. Wenn Sie ihn bekommen hätten, würden Sie diese Frage nicht stellen.
    Nun gut. Im übrigen: Was hieß das schon – gefallen ? Kam es darauf an? Es war mehr eine Frage der … Gewöhnung. Und Bennys Äußeres würde sich ja wohl noch etwas verändern. Glätten. Entfalten. Proportionieren. Ganz klar.
    Die Rosen! Mein Gott, ich hab sie ganz vergessen –.
    Abends, in der Wohnung, schlief Gundelach fast schon vorm Fernseher ein. Der Tag hatte ihn geschafft. Nichts würde in Zukunft mehr sein wie ehedem – das stand fest. Unerbittlich bohrte sich diese Gewißheit in sein Inneres, höhlte es aus. Etwas in ihm war unwiederbringlich abgeschlossen und vorbei. Nur

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