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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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scheinbar ungerührt im Sattel saß und die Rufe nach einem Herausforderer à la Specht seltener zu vernehmen waren als noch vor einem halben Jahr. Doch Specht, so ließ sich jetzt von hoher geschichtsphilosophischer Warte herab begründen, wollte ja gar nicht nach Bonn. Andere, erst im Aufbau befindliche und mehr Kreativität verheißende zwischenstaatliche Ebenen boten reizvollere Perspektiven.
    Man konnte, des weiteren, mit neuer Argumentation vom Bund Geld fordern, für grenzüberschreitende Glasfaserstrecken und multilaterale Forschungsstätten. Das diente Europa und nützte dem Land. Man konnte, nebenbei, das Auswärtige Amt mit eigenen, quasi-völkerrechtlichen Verträgen ärgern und der EG-Kommission lästig fallen. Und schließlich bot sich auch für die ermüdete Presse neues Futter.
    Das Zusammentreffen so vieler Vorzüge machte es Gundelach leicht, Grundsatzreden zu entwerfen, die den neu entdeckten Regionalismus als listige Form identitätsbewahrender Zukunftsgestaltung in einem vereinten Europa feierten. Die bundesstaatlichen Organe samt ihren Amtsinhabern nahmen sich demgegenüber wie Auslaufmodelle des neunzehnten Jahrhunderts aus.
    Helmut Kohl war jetzt übrigens drei Jahre im Amt. Oskar Specht gratulierte ihm dazu im ›Deutschland Union Dienst‹ der CDU. Auch diesen Artikel verfaßte sein Chefschreiber, und er tat es mit leichter Hand.
    Als der radioaktive Regen den aufbrechenden Frühling apokalyptisch verpestete und dem becquerelgeängstigten Volk vitaminarme Wochen bescherte, kreuzte die Familie Specht auf Einladung der Familie Mohr zum zweitenmal an Bord einer Motoryacht durch die blauen Fluten der Ägäis. Die Reise war, anknüpfend an den fabelhaften Törn des Jahres 1984, lange geplant gewesen und konnte einer Wolke wegen nicht verschoben werden.
    Spechts Terminkalender war randvoll gefüllt. Noch im Mai wollte er nach Ostberlin, um der wachsenden Hoffähigkeit Erich Honeckers Tribut zu zollen. Zuvor hatte er mit Ewald Moldt, dem Ständigen Vertreter der DDR in Bonn, eine Ausstellung ›Kunst in der DDR in den achtziger Jahren‹ eröffnet. Eine Delegation des Dresdner Volkseigenen Betriebes ›Robotron‹ hatte ihren Besuch auch schon angesagt.
    Ostpolitisch tat sich was, seit Michail Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU war. An ihn möglichst schnell heranzukommen, war das eigentliche Ziel des plötzlichen Interesses an Kommunisten jeder Couleur.
    So weilte ein gewisser Alexander Fjodorwitsch Kamenew, seines Zeichens stellvertretender Vorsitzender des sowjetischen Staatskomitees für Wissenschaft und Technik, zu einstündigem Politplausch auf Schloß Monrepos. Das Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU, Alexander Tschakowsij, brachte es auf anderthalb Stunden. Sowjetbotschafter Wladimir Semjonow erhielt zum 75. Geburtstag ein Glückwunschtelegramm Spechts, in dem sich der alte Fuchs als ›Homme de lettres‹ umschmeichelt sah (im Ostblock gab es sie offenbar, die literarisch beschlagenen Machtpolitiker!). Sein Nachfolger Alexandrowitsch Kwizinskij empfing wenig später eine persönliche Einladung, das Land zu besuchen. Und die Sowjetrepublik Tadschikistan rüstete sich, eine Woche lang Kultur, Folklore und Küchenspezialitäten in der Landeshauptstadt zu präsentieren.
    Wie immer, wenn Specht Kurs aufnahm zu neuen Ufern, tat er es unter vollen Segeln.
    Etwas verloren wirkten dazwischen die Delegationen der chinesischen Provinzen Jiangsu und Liaoning, die dem Besuchsangebot gefolgt waren, das Specht während seiner letzten Chinareise ausgesprochen hatte; aber die lag ja auch schon ein halbes Jahr zurück. Der Westen war, sah man von einer Stippvisite des portugiesischen Regierungschefs Cavaco Silva und dem kurzen Aufenthalt des schwedischen Königs Carl XVI. Gustaf ab (der Specht bei dieser Gelegenheit in die Königliche Akademie der Ingenieurwissenschaften aufnahm), eher spärlich vertreten. Nur ein republikanischer Kongreßabgeordneter aus New York namens Jack Kemp machte seine Aufwartung. Doch Specht hielt große Stücke auf ihn: seiner Meinung nach konferierte er mit dem Nachfolger des amerikanischen Präsidenten Reagan.
    Angesichts dieses Reigens war Gundelach nicht wenig verblüfft, als der Ministerpräsident ihn, von hoher See ans Steuer des Staatsschiffes zurückgekehrt, mit der Idee konfrontierte, ein neues Buch auf Kiel zu legen. Ein Buch über Kulturpolitik. Nicht über irgendwelche Kulturpolitik, versteht sich, sondern über eine neue Art Kulturpolitik.
    ›High culture‹

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