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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Modell.
    Während die Landespolitische Abteilung in zäher Kleinarbeit die Details des ›Wasserpfennigs‹ ausarbeitete, nahm die Grundsatzabteilung schon die Planungen für den nächsten Kongreß auf. ›Architektur, Städtebau, Landschaftsentwicklung‹ hieß der Generalnenner. Gundelach, der die Sitzungen der Vorbereitungskommission leitete, merkte rasch, daß er es mit einer Ansammlung empfindsamer Individualisten zu tun hatte, deren Kreativität erst im Stadium gekränkter Eitelkeit und wechselnder Zerwürfnisse voll erblühte. Ihm gefiel das. Es hatte etwas Künstlerisches, das der Bürokratie sonst fremd war. Um der Sache zusätzlichen Pep zu verleihen, schrieb man gleich noch einen internationalen Wettbewerb für die fernere bauliche Gestaltung der Landeshauptstadt aus.
    Deren geduldiger, philosophisch gefestigter Oberbürgermeister ließ es mit unterdrücktem Seufzen geschehen.
    Europa war ein anderes Objekt ihres expandierenden Betätigungsdrangs. Daß die Bundesländer von der EG überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurden, widersprach dem Selbstbewußtsein Spechts. Zwar hatte sich vor kurzem ein Kränzchen europäischer Regionen und Provinzen zu einer ›Vereinigung der Regionen Europas‹, kurz VRE genannt, zusammengefunden, und das Land war darin in der würdigen Gestalt des Parlamentspräsidenten vertreten. Doch der Ministerpräsident hatte für dieses Konglomerat nur wenig übrig. Reise- und Spesentourismus das Ganze, nichts weiter. Keine angemessene Bühne für einen, der gerade erst das protokollarische Zepter des Bundesratspräsidenten aus der Hand gelegt, mit Polens General Jaruzelski und Frankreichs Premier Fabius im Laufe einer Woche, in einem Aufwasch sozusagen, konferiert, Indonesiens Suharto und Indiens Gandhi beraten und den türkischen Regierungschef Özal sowie die widerborstige, ausländische Gäste mit protokollarischer Pinzette auswählende Margret Thatcher fest im Terminplan hatte.
    Europas Regionalismus, wenn er erfolgreich sein wollte, mußte von wenigen, aber starken Partnern vorangetrieben werden. Industrielle Macht, wissenschaftlich-technisches Know how und eine konstitutionelle Eigenständigkeit, die, wo nicht verfassungsmäßig verbürgt, doch wenigstens an einer eingewurzelten Streitlust gegenüber jeder Art zentralstaatlicher Gewalt erkennbar sein mußte – das waren die Kriterien, anhand deren er Auftrag gab, den alten Kontinent zu durchforsten.
    Vergleichende Tabellen über Bruttosozialprodukte, Forschungskapazitäten, hochtechnologische Einrichtungen entstanden. Gliedstaatliche Eigengewichte wurden mit kritischem Blick überprüft. Am Ende blieben drei für ebenbürtig erachtete Motoren einer subnationalen Widerstandsbewegung gegen Brüssels Zentralitätspolitik übrig: das traditionell madridzwistige Katalonien mit seiner vor Wirtschaftskraft berstenden Hauptstadt Barcelona, die reiche, ständig am Rande des Verfassungskonflikts lavierende Lombardei, in deren pulsierender Metropole Mailand das Herz Norditaliens schlägt, und die französische Region Rhône-Alpes, deren Doppelzentrum Lyon und Grenobles genügend industrielles Potential besaß, um in Paris Sonderrechte beanspruchen zu können.
    Specht nahm erste, tastende Kontakte auf und buchte, vom Zuspruch ermutigt, für Juni einen Kurzbesuch in Lyon.
    Der Gedanke, den deutschen Föderalismus europaweit als ein Modell erfolgreichen regionalen Selbstbehauptungswillens anzuempfehlen, war zweifellos eine Frucht vom Baume seiner Präsidentschaft im Bundesrat. Eine Frucht, deren vielseitige Verwendbarkeit rasch deutlich wurde, weshalb sich Gundelach sofort mit ihr anfreundete.
    Man konnte, zum Beispiel, eine Philosophie daraus machen, daß die Nationalstaaten à la longue gesehen immer entbehrlicher würden, weil die fürs Staatsganze wichtigen Entscheidungen ohnehin in europäischer, wenn nicht gar in globaler Kooperation getroffen werden mußten. Die den Bürger unmittelbar berührenden Angelegenheiten aber sollten tunlichst vor Ort, im bewährten Zusammenspiel von Kommunen und Ländern, geregelt bleiben. Deshalb brauchte es für einen langfristig denkenden Politiker kein unbedingt erstrebenswertes Ziel sein, ein Bonner Ministeramt oder gar die Kanzlerschaft ins Auge zu fassen – jedenfalls dann nicht, wenn er, wie Oskar Specht, auf souveränes Regieren allergrößten Wert legte. Das wiederum traf sich vorteilhaft mit der unbestreitbaren Tatsache, daß Helmut Kohl, dem publizistischen Dauerfeuer zum Trotz, fest und

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