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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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Ländern und Gesellschaftssystemen so entwickeln werden?
    Was die von Specht angesprochenen Vorfälle an der Berliner Mauer betreffe, erklärte er, seine Notizen geschäftsmäßig abarbeitend, so kenne er die Vorgänge nicht genau und könne deshalb ihren Wahrheitsgehalt nicht beurteilen. Auch sei er nicht verantwortlich für die Informationspolitik des deutschen Bundesnachrichtendienstes. Sein Verteidigungsminister habe ihm jedenfalls, anders als noch vor zwei Jahren, definitiv versichert, für DDR-Grenzsoldaten gebe es keinen Schießbefehl. Und was den Besucher- und Reiseverkehr betreffe, könne er mit Sicherheit sagen, daß die Zügel weiterhin locker gelassen würden.
    Botschafter Meyer-Landrut nickte befriedigt und schrieb. Gorbatschow, offenbar froh, mit dieser Erklärung das unangenehme Thema verlassen zu können, lehnte sich zurück und wandte sich den wirtschaftlichen Fragen zu.
    Ich stimme, sagte er zuvorkommend, Ihren Gedanken und Vorschlägen, Herr Ministerpräsident, im Prinzip zu. Doch müssen wir die Gewißheit haben, daß wir bei verstärkten Handelsbeziehungen nicht durch westliche Embargovorschriften behindert werden. Die Sowjetunion ist kein Flohmarkt, und wir haben kein Interesse an irgendwelchem Trödelkram –.
    Mein Land, Herr Generalsekretär, hat keinen Trödelkram zu verkaufen, unterbrach ihn Specht. Dafür sind andere zuständig!
    Dann ist es gut, antwortete Gorbatschow ernsthaft. Ihre Unternehmen können durchaus mit unseren Kombinaten direkt verhandeln, sie brauchen nicht erst die zuständigen Ministerien zu fragen. Ein gemeinsames Auftreten auf den Weltmärkten liegt im originären Interesse der Sowjetunion. Zuvor muß aber ein intensiver Erfahrungsaustausch erfolgen, um die Spielregeln der gegenseitigen Wirtschaftssysteme besser kennenzulernen.
    Gundelach hatte den Eindruck, daß der Herr des Kreml mit dem Herzen nicht mehr so recht bei der Sache war. Eher formelhaft klang sein Bekenntnis zu mehr wirtschaftlicher Gemeinsamkeit. Oder lag es daran, daß er sich auf diesem Gebiet nicht so gut auskannte? Hatte man ihn vielleicht sogar gewarnt, dem ›Wirtschaftsfachmann Specht‹, der von Anatolij Frenkin so emphatisch gelobt worden war, zu schnell und unbedacht entgegenzukommen?
    Er sah auf die Uhr und dachte: was soll’s? Dreizehn Uhr vorbei. Seit über zwei Stunden sitzen wir hier. Unglaublich. Franz Josef absolut in den Schatten gestellt! Das gibt ein riesiges Medienecho. Bundesweit, international. Und das sechs Wochen vor der Landtagswahl!
    Specht schien das wirtschaftliche Privatissimum indessen noch eine Weile fortsetzen zu wollen. Erst pries er die Exportstärke seines Landes, das mit einem Ausfuhrvolumen von über hundert Milliarden Mark sogar die Schweiz und Schweden in den Schatten stelle. Dann merkte er in ungewohnter Bescheidenheit an, trotz dieser Erfolge habe auch die heimische Wirtschaft mit dem Tempo der internationalen Marktveränderungen erhebliche Probleme.
    Gorbatschow lächelte, als wollte er sagen: Deine Sorgen möcht ich haben! Dann breitete er die Arme aus und rief mit gespielt großer Geste: Der Markt von der Elbe bis zum Stillen Ozean steht Ihnen offen!
    Die Audienz war beendet. Gorbatschow reichte Specht über den Tisch die Hand, dankte ihm für die ›außerordentlich informative Unterredung‹ und bat ihn nochmals, dem Herrn Bundeskanzler seine besten Wünsche zu übermitteln.
    Man erhob und verabschiedete sich. Die Tür des Katharinen-Saals wurde geschlossen. Derselbe Bedienstete, der sie in Empfang genommen hatte, brachte sie zum Ausgang, wo die schwarze Limousine wartete.
    Im Auto sprachen sie wenig, obwohl ihre Hirne und Münder zum Bersten gefüllt waren. Aber man wußte ja, daß der sowjetische Geheimdienst KGB mitfuhr. Dafür strahlten die Kuppeln und Kreuze der Kremlkirchen doppelt so hell wie bei der Ankunft, und die üppige Ornamentik der Basiliuskathedrale am südlichen Ende des Roten Platzes leuchtete in allen Farben des Regenbogens.
    In schneller Fahrt, die doch nicht schnell genug sein konnte, ging es auf dem Mittelstreifen der großen, grauen Straßen zur Deutschen Botschaft. Gundelach lief, während Specht noch kurz ›um die Ecke‹ biegen wollte, geradewegs in den hoffnungslos überfüllten Konferenzsaal, in dem es wie in einem Opernhaus, dessen Vorhang sich nicht heben will, rumorte. Lief und schüttelte Hände, lachte und sagte immer wieder: Zwei Stunden, dreiundzwanzig Minuten! Zwei Stunden, dreiundzwanzig Minuten!
    Und diese Zahl, die,

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