Monrepos oder die Kaelte der Macht
im direkten Gegenüber. Der Mann besaß Charme und Willenskraft und die Gabe, beides kontrolliert einzusetzen; dazu eine jünglingshafte Ungeduld, der alles Floskelhafte zuwider schien.
Er habe, sagte Gorbatschow, bei der Vorbereitung zu diesem Treffen mit Freude gelesen, daß der Handelsaustausch zwischen der UdSSR und dem Heimatland seines Gastes im letzten Jahr stark gestiegen sei. Dies sei ein gutes Beispiel für die Wende von der Konfrontation zur Zusammenarbeit, welche die Sowjetunion anstrebe. Mit dem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen über den Abbau und die Vernichtung aller atomaren Mittelstreckenwaffen sei ein erster, wichtiger Schritt getan.
Dann begann er, die aktuellen abrüstungspolitischen Themen aus Sicht der Sowjetunion zu erläutern. Die DDR bezog er in die angestrebte Reduzierung der konventionellen Waffen und der taktischen Atomwaffen jeweils mit ein. Es sei nötig, sagte er, eine Zone des Vertrauens zu schaffen, in der man sich nicht mehr mit Mauern voneinander abgrenzen müsse. Die Sowjetunion werde ihre Verteidigungsausgaben um mehr als zehn Prozent senken. Und mit ihrer Teilnahme an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa habe sie ihren Willen zur Entspannung ja bereits nachhaltig unter Beweis gestellt.
Er sprach lebhaft und in einem angenehm fließenden Rhythmus. Dem Dolmetscher blieb wenig Zeit, seine Mitschrift in rauhem Deutsch zu verlesen. Wiederholt setzte Gorbatschow zu neuen Ausführungen an, während das Mondgesicht noch übersetzte.
Specht kritzelte ab und zu Stichworte in eines der kleinen braunen Notizhefte, die vor ihren Plätzen auflagen. Meyer-Landrut, der noch am Nachmittag einen detaillierten Bericht ans Bonner Außenministerium zu kabeln hatte, und der Dolmetscher des Auswärtigen Amtes, dessen Aufgabe es war, Spechts Einlassungen ins Russische zu übertragen, schrieben ausführlicher. Auch Mendel und Gundelach füllten Blatt um Blatt. Gundelach warf nebenher immer wieder verstohlene Blicke auf seine Armbanduhr und registrierte mit Freude, wieviel Zeit bereits verstrichen war. Und Gorbatschow war mit seinen einleitenden Bemerkungen, die den Bogen, um seines Gesprächspartners geringe bundespolitische Kompetenzen unbekümmert, weit spannten, noch keineswegs am Ende!
Er straffte seine Haltung und ging zum Angriff über.
Leider, sagte er gemäß des Dolmetschers gleichbleibend monotoner Wiedergabe, erkennen wir bei der BRD und der Nato bisher keine Bereitschaft, unsere Vorleistungen mit ähnlich konkreten Maßnahmen zu beantworten. Die westliche Doktrin der Abschreckung ist seit dem Harmel-Bericht von 1967 unverändert geblieben, sie gilt heute wie damals. Auch im Verhalten der Bundesrepublik gibt es Zweideutigkeiten, die nicht zu übersehen sind. Das jüngste Beispiel dafür sind die Überlegungen, die man bei Ihnen zu atomaren Gefechtsfeldwaffen und den Folgewaffen für Lance-Raketen anstellt. Hier gibt es doch überhaupt keinen Entscheidungsbedarf! Es entbehrt jeder Logik, zugleich abzurüsten und aufzurüsten. Ein Zögern bei der Abrüstung der Waffensysteme bis 500 Kilometer Reichweite kann gefährliche Folgen haben, denn es bestehen eindeutige Zusammenhänge mit dem Bereich der strategischen Offensivwaffen. Werden die taktischen Waffen beibehalten, führt das unweigerlich auch zur Destabilisierung der strategischen Lage.
Gorbatschow blickte bei diesen Worten sowohl in Spechts als auch in Meyer-Landruts Richtung. Gundelach hatte das Gefühl, diese Passage sei vor allem für den fälligen Rapport an die Bundesregierung bestimmt. Offenbar sah sich die Sowjetunion nach den Vereinbarungen über den Abbau ihrer modernen SS-23-Raketen durch die technologische Überlegenheit des Westens bei nuklearen Kurzstreckenwaffen in einer geschwächten Position.
Doch wer, dachte er, kennt sich beim Zählen der Sprengköpfe und Raketen schon wirklich aus?
Gundelach rieb die ermüdenden Finger. Gorbatschow bemerkte es, lächelte und behielt den gelassen-aufgehellten Gesichtsausdruck bei, als er, den militärischen Exkurs fürs erste beendend, seine Lieblingsvokabel vom ›gemeinsamen europäischen Haus‹ aufgriff und die Fortschritte lobte, die beim Handelsaustausch und im humanitären Bereich zu verzeichnen seien.
Seine Berater hätten ihm mitgeteilt, fuhr er fort, daß es sich bei Spechts Heimatland um das wirtschaftsstärkste Gebiet der Bundesrepublik handle. Das auf über eine Milliarde Mark angestiegene Handelsvolumen mit der UdSSR belege diese
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