Monrepos oder die Kaelte der Macht
sagen wir, im großen und ganzen stimmte, höchstens die Fahrtzeit über den Roten Platz noch mit einbezog, machte wie ein Lauffeuer die Runde und war, neben der Ehre des Katharinen-Saals, der zweite, endgültige Beweis für die Exzeptionalität des Ereignisses, dem er gerade beigewohnt hatte. Eines Ereignisses, das seinen Rang und Wert nun unverrückbar in sich trug, egal wie viel oder wenig Specht anschließend sagen würde.
Und das war gut so. Denn Specht sagte, bei Licht besehen, nicht allzu viel. Als wäre er im Hauch des Weltpolitischen, der ihn angeweht hatte, erstarrt, druckste und wand er sich, flüchtete in Allgemeinplätze und mied, des Schicksals eingeschüchterter Augen- und Ohrenzeuge, jede Festlegung.
Doch ehe sich Enttäuschung breitmachen oder Spekulationen über unerhörte, der Wiedergabe nicht zugängliche Mitteilungen ins Kraut schießen konnten, wurde ein Fernschreiben hereingereicht – und siehe da: Gorbatschow selbst, der Medienprofi, trug das Geschehen in schöner, klarer Sprache über die Nachrichten-Agentur TASS auf den Markt der Öffentlichkeit.
Specht überflog die Meldung, lächelte schmal und sagte:
Na also, da steht alles Wesentliche drin.
Abends saß man in der Wohnung des ARD-Korrespondenten Gerd Ruge beisammen; trank Wodka und Bier und redete sich über Gorbatschows Chancen, das Militär und die Partei in Schach zu halten, die Köpfe heiß.
Gundelach hütete die TASS-Rolle wie einen Schatz; er kannte sie bald auswendig. Als dann noch die Fernsehnachrichten zur besten Sendezeit mit Spechts Visite aufmachten und ihr geschlagene sechs Minuten widmeten, kannte die ins Ehrfürchtige mutierende Begeisterung keine Grenzen.
Unwahrscheinlich, murmelte Specht mit schwerer Zunge. Es war wirklich unwahrscheinlich!
So endete die Sternstunde im Leben des Oskar Specht. Und Gundelach konnte in seinem großen überheizten Zimmer im Hotel Moskwa nicht einschlafen, weil ihn die Frage, ob sich Michail Sergejewitsch Gorbatschows Aufmerksamkeit an die Person oder an den Übermittler Oskar Specht gerichtet, mit anderen Worten: ob sie dem künftigen Kanzler oder dem Vorboten des jetzigen gegolten hatte, mit einer Intensität beschäftigte, wie sie sich nur durch eine völlig überreizte Fantasie erklären läßt.
Als er sie endlich entschieden zu haben meinte, schlief er ein, und plötzlich saß Werner Wrangel auf der knarzenden Bettkante und boxte ihm lachend in die Rippen.
Sagen und Nichtsagen
Nein, er hätte nicht geglaubt, daß es so leicht gehen würde.
Früher dachte er, ein Mensch, der sich von einer privaten zur öffentlichen Person wandelt, müsse dabei auch im Innern eine Veränderung spüren. Eine Spaltung des Ich in einen nach außen gekehrten, zugänglichen und einen tief in der Brust verborgen gehaltenen Teil. So las man es ja zuweilen in idyllischen Berghütten-Interviews mit Prominenten. Eigentlich waren die immer ganz anders, nur durften sie es nicht zeigen. Und auch bei Specht klang dieses postromantische Zwei-Seelen-Motiv immer mal wieder an. Etwa, wenn er den introvertierten Genuß einer Zigarre, eines Bordeaux oder eines abstrakten Gemäldes für das höchste Glücksgefühl erklärte oder seine Wahlkampfreden mit der abfälligen Bemerkung versah, er selbst stehe dabei neben sich und schlafe.
Gundelach hatte nicht das Gefühl eines Zwiespaltes. Wahrscheinlich war er noch zu neu im Geschäft. Er fand es leichter, einen mit öffentlichen Terminen vollgestopften Tag zu absolvieren, als an der Schreibmaschine zu sitzen, Reden und Bücher für andere zu verfassen und sich selbst und der Familie den Grund der Müdigkeit, des Zweifels, der Depression erklären zu müssen.
Jetzt erklärte sich alles von außen her, objektiv und nachprüfbar. Man war, was man machte, und er machte viel: Pressekonferenzen, Redaktionsbesuche, Interviews, Vorträge. Specht ließ ihn gewähren.
Der Wahlkampf nahm an Schärfe zu und konzentrierte sich auf die Frage, ob Oskar Specht beim Verlust der absoluten Mehrheit zurücktreten werde oder nicht. So hatten sie es haben wollen. Specht erklärte kategorisch, für eine Koalition nicht zur Verfügung zu stehen. Die FDP versuchte, seine Drohung als taktische Finesse herunterzuspielen. SPD und Grüne beklagten das mangelnde Demokratieverständnis des Ministerpräsidenten.
Wieder einmal drehte sich alles um Oskar Specht.
Der aber war nach dem Treffen mit Gorbatschow und einem pompösen Aufgalopp europäischer Spitzenmanager auf Schloß Monrepos in die
Weitere Kostenlose Bücher