Monrepos oder die Kaelte der Macht
Einschätzung. Die UdSSR befinde sich gerade in intensiven Vorbereitungen zum nächsten Parteitag und verfolge ehrgeizige Ziele. Er hoffe, daß sich viele Firmen aus der Bundesrepublik und insbesondere aus dessen technologisch am weitesten vorangeschrittenem Teil an der Modernisierung der sowjetischen Wirtschaft beteiligten. Aus Gesprächen mit der Führung der DDR wisse er, daß Specht auch dort einen guten Ruf als Wirtschaftsfachmann genieße, und das könne dem Verhältnis der beiden deutschen Staaten nur zugute kommen. Nach dem Besuch des Staatsratsvorsitzenden Honecker im Herbst 1987 sei ohnehin eine neue Phase des Dialogs und der humanitären Erleichterungen erreicht.
Einen solchen Besucherstrom zwischen der BRD und der DDR hat es doch noch nie gegeben! rief er und nannte zum Beweis eine Zahl von über zehn Millionen Menschen, die als Reisende die Grenze passiert hätten. Jetzt kommt es darauf an, pragmatisch vorzugehen und die beim Besuch von Herrn Honecker unterschriebenen Abkommen mit Leben zu erfüllen. Denn – schloß er etwas sibyllinisch – man kann Geschichte nicht umschreiben.
Dann lehnte er sich zurück, stützte die Hände leicht auf die Tischkante und blickte sein Pendant ruhig und forschend an.
Nun war die Reihe an Oskar Specht. Der legte zunächst eine Kunstpause ein, indem er in seinem Notizblock zurückblätterte. Dann räusperte er sich entschlossen und dankte für die freundliche Einladung. Doch verwandte er darauf nicht mehr Emphase, als ihm in Anbetracht der erkennbaren Neigung Gorbatschows für konzentrierte Sachdebatten wohl geboten schien.
Gundelach war gespannt, ob Specht an Gorbatschows wirtschafts- und deutschlandpolitische Bemerkungen anknüpfen oder sich auch auf das weite Feld der Abrüstungspolitik trauen werde, auf dem er keinerlei politische Kompetenz besaß. Doch schnell wurde klar, daß der Ministerpräsident nicht daran dachte, sich irgendwelchen innenpolitischen Zwängen zu unterwerfen.
Er teile die positive Bewertung Gorbatschows hinsichtlich des Abkommens über den Abbau aller Mittelstreckenraketen, sagte Specht und schlug dann einen großen Bogen zu allen Fragestellungen, die der sowjetische Staats- und Parteichef angesprochen hatte. Als er darauf hinwies, daß es für den Westen einen engen Zusammenhang zwischen atomaren Kurzstreckenwaffen und den konventionellen Streitkräften gebe, bei denen der Ostblock ein deutliches Übergewicht besitze, verschloß sich Gorbatschows Gesicht. Aber er schwieg.
Nun beugte sich Specht vor und nahm beschwörend die Hände zuhilfe. Natürlich, sagte er eindringlich, muß die NATO ihre Verteidigungsphilosophie weiterentwickeln, natürlich kann sie nicht bei den strategischen Grundsätzen des Harmel-Berichts stehenbleiben! Was heißt denn Abschreckung in heutiger Zeit? Abschreckung in Mitteleuropa kann doch nicht mehr die Fähigkeit zum Erstschlag bedeuten, bei dieser Kleinräumigkeit, bei diesen gewaltigen Zerstörungspotentialen. Jeder Einsatz von nuklearen Waffen unter 500 Kilometern Reichweite gefährdet doch den Angreifer selbst! Nachdem wir uns so weit auf den Prozeß eines qualitativen und quantitativen Abbaus der Angriffsfähigkeit eingelassen haben, ist dieser Weg unumkehrbar, Herr Generalsekretär. Sie dürfen versichert sein, daß die Bundesrepublik dabei als treibende Kraft auftritt, denn uns ist sehr wohl bewußt, daß wir die Hauptleidtragenden eines Überraschungsangriffs wären!
Gundelach sah mit Erleichterung, wie sich Gorbatschows Mimik entspannte.
Auch Specht schien den Eindruck einer den militärischen Erläuterungen des Kremlgewaltigen ebenbürtigen Replik zu haben. Er lockerte seine Haltung und meinte, die Menschen seien der Politik im Willen zur Zusammenarbeit sowieso weit voraus. Ein bedeutendes Unternehmen seines Landes habe bereits fertige Pläne für die Umrüstung der sowjetischen SS-23-Lafetten zu mobilen Baukränen ausgearbeitet. Der Geschäftsführer befinde sich in seiner Delegation und sei bereit, der sowjetischen Seite ein konkretes Angebot zu unterbreiten.
Ausgezeichnet! rief Gorbatschow und lachte, wie auch Kamenzew, zustimmend. Specht wurde zusehends sicherer.
Vertrauen, sagte er, ist in der Tat die Grundlage jeden Fortschritts. Leider gibt es bis in die jüngste Zeit hinein immer wieder Zwischenfälle an der Berliner Mauer, Schießereien von DDR-Grenzsoldaten, bei denen Menschen zu Tode kommen. Man kann es uns nicht verübeln, wenn wir angesichts solcher Ereignisse Zweifel an der
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