Monrepos oder die Kaelte der Macht
lichten Höhen des landespolitischen Übervaters entschwunden. Es ging nicht mehr darum, die CDU zu wählen – das Volk war aufgerufen, Specht zu halten. Fürs tagespolitische Ungemach dagegen blieb der Kanzler in Bonn zuständig.
Die SPD merkte spät, welche undankbare Arbeitsteilung man ihr aufgezwungen hatte. Plötzlich war ihr unverbrauchter Bonner Hoffnungsträger keine bereichernde Novität mehr, sondern der an der Haustür klopfende Vertreter des alten, müden Systems. Gundelach streute mit Genuß den Mantel-Slogan. Körner beeilte sich zu erklären, auch als Oppositionsführer werde er im Land bleiben. Damit beschrieb er seine Niederlage selbst.
Ende März erfolgte die Landtagswahl. Die CDU erhielt entgegen dem allgemeinen Trend 49 Prozent der Stimmen. Keine Oppositionspartei konnte zulegen; die FDP schaffte die Fünfprozent-Hürde nur knapp. Specht triumphierte.
Als Gundelach am Abend der Wahl im unbeschreiblichen Gedränge des Landtags Körner begegnete, zuckte er zusammen. Der jugendliche Plakatheld war leichenblaß, schwankte und hatte Tränen in den Augen. Schnell ließ sich der Regierungssprecher von der Woge der Begeisterung, die den Erfolgreichen umschmeichelt, weitertragen.
Machen wir einfach so weiter wie bisher, sagte Specht an einem der nächsten Tage, als sich die allgemeine Aufregung gelegt hatte.
Gundelach nickte. Er sah ein, daß es zu früh war, Ansprüche anzumelden. So lange wie Wiener wollte er sich aber nicht gedulden. Um das schon mal anzudeuten, bat er Specht, ihn anstelle des Ministers Olbrich in den Fernsehrat des Zweiten Deutschen Fernsehens zu entsenden. Specht akzeptierte. Als Gundelach dann erstmals an der Sitzung des Gremiums in Mainz teilnahm, stellte er fest, daß er der einzige Ländervertreter ohne Minister- oder Staatssekretärsrang war.
Das Kabinett ließ Specht weitgehend unverändert. Gundelach hielt es für einen Fehler, doch wußte er, daß Specht darüber nicht diskutieren würde. Er schien mit seiner einfach zu berechnenden und leicht zu steuernden Mannschaft zufrieden. Im übrigen, sagte er, hindere ihn niemand daran, zur Mitte der Legislaturperiode neue Leute zu berufen. Und Wolfgang Bönnheim werde schon dafür sorgen, daß sich auf Monrepos keiner langweile.
Das war die einzige und eigentliche Neuigkeit, auch wenn man sie kaum als Überraschung bezeichnen konnte: Generalintendant Bönnheim durfte nun auch am großen, dicht an dicht bestuhlten Kabinettstisch Platz nehmen und sich mit dem Titel Staatsrat schmücken.
Gundelach wußte, daß Bönnheims Ziel eigentlich die Leitung eines neugeschaffenen Kunstressorts gewesen war und Specht ihm das anfänglich auch in Aussicht gestellt hatte. Mit leuchtendem Dirigentenauge und verschwörerisch geschürztem Politikermund hatte Bönnheim es ihm während eines Fluges anvertraut.
Die CDU-Fraktion aber bremste und bockte. Sie mochte keine Überflieger, die es auf Anhieb zu höchsten Weihen brachten, ohne der Ochsentour in Partei und Parlament Tribut gezollt zu haben. Außerdem: Kunst allein trägt kein Ministerium, das wäre denn doch des Guten zu viel. Hätte man aber Bönnheim weitere Kompetenzen eingeräumt, wäre er noch mächtiger geworden, als er es infolge Spechts Musenbegeisterung schon war. Der Kultusminister und leidenschaftliche Vereinsfreund Müller-Prellwitz, dem die Laien- und Volkskunst unterstand, der Wissenschaftsminister Professor Angel, dem die Musikhochschulen und Kunstakademien zugeordnet waren, und viele andere hatten Grund, die einfachen, bei der Regierungsbildung wieder nicht zum Zuge gekommenen Abgeordneten in ihrer Abneigung gegen laut zwitschernde Paradiesvögel zu bestärken.
Blieb für Bönnheim also nur die honorige Funktion eines ehrenamtlichen Staatsrats für Kunst und die vage Aussicht, irgendwann einmal bessere Karten beim Postenpoker zu besitzen.
Gundelach konnte den Kabalen vor und hinter der politischen Bühne nur wenig Aufmerksamkeit schenken. Denn Specht entwickelte, kaum hatte er sein Umfeld bestellt, einen verblüffenden Eifer, jene zu bestrafen, die ihn in den kritischen Tagen und Wochen vor der Entscheidung, wie er meinte, im Stich gelassen oder schlecht behandelt hatten.
Als ersten traf es Willi Pörthner. Specht bestellte ihn zu sich und eröffnete ihm ohne Umschweife, daß er sich von ihm trennen werde. Er machte ihn für Pannen und Spannungen im organisatorischen Gefüge der Landes-CDU verantwortlich, die es während des Wahlkampfs unbestreitbar gegeben hatte. Doch
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