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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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weiß und daß es ihn schmerzt. Nicht mal auf Kohl hat er geschimpft. Ich sage Specht nicht, daß ich es für Unsinn halte, jetzt ein Buch zu schreiben, Specht sagt mir nicht, daß er mich auf diese Weise wieder zurückstutzen und ins Glied bringen will. Ebensowenig sagt er mir, daß er sich regelmäßig mit Tom Wiener trifft, obwohl er wissen muß, daß ich davon erfahre. Dabei befragt er Wiener sicher auch, wie er meine Arbeit beurteile. Und Wiener sagt ihm, er solle aufpassen, daß ich nicht zu selbstherrlich werde, mir aber nichts von seinen Ratschlägen erzählen. Specht sagt Helmut Kohl nicht, was er von ihm hält, auch wenn der es ganz genau weiß, vermutlich von denselben Parteifreunden und Journalisten, denen es Specht zu nächtlicher Stunde unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut … Und Heike sagt mir nicht, was sie mit Benny an der Nordsee macht und was sie überhaupt vorhat.
    Das Nichtsagen ist die Sprache der Fremdheit.
    Anfang Oktober fuhr Gundelach auf Einladung der Tendvall-Stiftung für drei Tage nach Toronto, um einer Konferenz beizuwohnen, die der amerikanische Zweig der Stiftung organisiert hatte. Er überbrachte Grüße von Specht und wehrte alle Fragen, wie lange es in Deutschland mit Kanzler Kohl denn noch gut gehen und wann Oskar Specht ›antreten‹ werde, mit floskelhafter Glätte ab. Inzwischen hatte er keine Mühe mehr damit.
    Nach seiner Rückkehr erfuhr er, daß Franz Josef Strauß gestorben war. Beschämt erinnerte er sich daran, daß er es unterlassen hatte, Werner Wrangel nach dem Ergebnis seiner ärztlichen Untersuchung zu befragen. Noch auf dem Frankfurter Flughafen rief er ihn an.
    Wrangels Stimme klang sanft und kam wie von fern.
    Lieber, sagte er, danke, daß du anrufst. Ich habe Krebs. Es sieht nicht sehr gut aus.
    Gundelach verschlug es die Sprache.
    Nächste Woche beginne ich mit der Chemotherapie. Man kann wohl nicht mehr operieren, weil der Tumor schon zu sehr mit dem Gefäßsystem verwachsen ist.
    Der Magen?
    Um den Magen herum, ja. Aber mach du dir keine Sorgen deswegen. Und laß dich vor allem nicht davon ablenken. Ihr habt Wichtigeres zu tun. Grüß mir deine Frau und Oskar Specht – wenn du willst.
    Betäubt und niedergeschlagen ließ Gundelach sich nach Hause fahren. Sein Fahrer berichtete ihm, Spechts Fahrer Spitzer habe gesagt, der Chef sei ›kreuznarret‹ gewesen, daß Gundelach in der Weltgeschichte herumreise, während daheim die Kacke am Dampfen sei. Er fange schon an, sich wie Tom Wiener aufzuführen, nur daß es bei dem länger gedauert hätte, bis er größenwahnsinnig geworden wäre.
    Wieso? fragte Gundelach abwesend. Er hat doch gewußt, daß ich eingeladen worden bin.
    Der Fahrer zuckte die Achseln.
    Ich wollt Sie nur warnen, sagte er.
    Gundelach dachte an Wrangel, der einsam kämpfen und den Kampf am Ende doch verlieren würde, und die besitzergreifende Eitelkeit der Politik widerte ihn an.
    Was sind wir doch für Arschlöcher, sagte er laut. Sein Fahrer blickte in den Rückspiegel.
    Zu Hause erwartete ihn niemand. Gundelach räumte den Koffer aus und goß sich ein Bier ein. Auf dem Küchentresen lag verstreut die Post der letzten Tage. Rechnungen, Einladungen und ein Brief der örtlichen Grund- und Hauptschule, in dem Bennys Abmeldung vom Unterricht bestätigt wurde.
    Gundelach verstand nicht. Wieso Abmeldung? War Benny nicht ein guter Schüler? Und überhaupt: es besteht doch Schulpflicht!
    Er las das Schreiben nochmals und bemerkte erst jetzt, daß es an Heike gerichtet war. Wieso nur an sie? War er nicht Bennys Vater? Hatte er gar nichts mehr zu melden?
    Langsam, wie durch eine dicke ölige Flüssigkeit, schlich sich die Wahrheit an ihn heran. Sickerte unentrinnbar auf ihn zu, tropfte ins Hirn, füllte den Raum, der so gerne leer und dumm geblieben wäre, mit ätzendem, wühlendem, überschwappendem Schmerz.
    Heike verließ ihn, und Benny nahm sie mit. Oder hatte sie ihn schon verlassen?
    Plötzlich rannte er los. Riß im Kinderzimmer den Schrank auf, riß im Schlafzimmer den Schrank auf Nichts fehlte. Die T-Shirts und Pullis in den Fächern, die Kleider auf den Bügeln.
    Er setzte sich aufs Bett. Bevor Hoffnung den Ölfilter Dummheit durchdringen konnte, klapperte ein Schlüsselbund gegen die Haustür. Heike. Noch auf dem Bett sitzend wußte Gundelach, daß sie allein war. Noch auf dem Bett sitzend wußte er, was sie ihm sagen würde.
    Er wußte auch, daß er wiederum keine Kraft haben würde, die richtige Antwort zu finden. Was sie

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