Monrepos oder die Kaelte der Macht
begreiflich machen.
Dr. Seizinger schwieg.
Es sieht fast nach einer Kampagne aus, sagte er schließlich. Eine Kampagne gegen Unternehmer, die aber auch die Regierung treffen soll. Ich halte das für sehr gefährlich.
Ich auch, bestätigte Specht. Allerdings sollte man es der Justiz auch nicht so leicht machen wie Mohr.
Wieso? Naja – würden Sie Aktenordner anlegen mit der Aufschrift: ›Dem deutschen Fiskus nicht bekannt‹?
Um Gottes willen! sagte Dr. Seizinger.
Manchmal schien es, als ob Oskar Specht Gegengewichte brauchte. Ablenkungen. Wenn der Druck der ewig nörgelnden Unternehmer, der ewig unzufriedenen Abgeordneten, der ewig bohrenden Journalisten zu groß wurde, gönnte er sich ein Kontrastprogramm. Lud kunterbunte Paradiesvögel ein oder besuchte sie, und in den ›wilden Diskussionen‹, die er mit ihnen führte, fand er bestätigt, daß er, wenn er nur wollte, immer noch die Freiheit besaß, etwas ganz anderes zu machen als Politik. Glaubte er jedenfalls.
Dann fuhr er spontan und vom Terminplan abweichend nach Straßburg, speiste und zechte die halbe Nacht mit Tomi Ungerer, dem elsässischen Zeichner, und dessen schwarzhaariger, schwarzäugiger Lebensgefährtin. Kam zurück und berichtete vor Begeisterung übersprudelnd, daß man die Idee eines ›Kunstschiffes‹ geboren habe. Eines gemieteten ausrangierten Kahns, der mit wechselnden Ausstellungen den Rhein rauf und runter schippern und Schulklassen ein integriertes Natur- und Kunsterlebnis vermitteln solle. Das möge man prüfen und machen. Mit hunderttausend Mark aus dem Kulturetat sei da schon unheimlich viel zu bewegen – eine lächerliche Summe, verglichen mit dem, was der Staat jedes Jahr für Bilderkäufe ausgebe, die in irgendwelchen Magazinen vergammelten. Überhaupt müsse die Kunst raus aus dem Muff der Museen und hin zu den Leuten, denn sie sei das mobilste, was es überhaupt gäbe.
Wenn dann die Beamten zweifelnd den Kopf schüttelten und als erstes die Haftungsfrage erörterten, falls ein Kunst-Kind über Bord in den Rhein fiel, versteinerte Spechts Gesicht in resignierter Trauer. Er hatte es ja gleich gewußt.
Ein andermal bat er Meister Friedensreich Hundertwasser zum Essen in den Blauen Salon des Schlosses Monrepos. Schärfte Gundelach zuvor noch ein, Hundertwasser unter keinen Umständen mit ›Herr‹ anzureden. Doch das war nicht das Problem. Das Problem war, Meister Hundertwasser am Pförtner und an den Sicherheitsbeamten vorbeizuschleusen.
Er kam, im tiefsten Winter, mit Sandalen an den Füßen, trug einen roten und einen violetten Socken, Flatterhosen, eine schwarzrot karierte Jacke und eine gepunktete Schiebermütze. Gundelach mußte ihn am unteren Tor abholen, sonst wäre der Meister vor Monrepos’ Lanzettzaun erfroren oder verhaftet worden. Seine Idee einer Kinderstadt erfror wenig später wirklich, im Eis der Bürokratie. Und auch für Catharina Valente, der Specht den Professorentitel verleihen und einen Showbiz-Studiengang an einer Hochschule des Landes einrichten wollte, erwärmte sich außer ihm und Bönnheim niemand.
Eigentlich war es schade. Gundelach fand den ab und zu ins Paradiesvogelmilieu ausbrechenden, verhinderten Bohemien Specht wesentlich sympathischer als den wichtigtuenden Kunstmäzen, hinter dessen Drang, die bedeutendste Privatsammlung, das vollständigste Beuys-Oeuvre, die schönste Staatsgalerie und was sonst noch alles im Landesbesitz zu wissen, immer etwas Unfreies, Getriebenes zum Vorschein kam – eine künstliche Betriebsamkeit, die das Gegenteil von Spiel, Leichtigkeit und Freiheit war.
Doch die Verwaltung gestattete Specht nicht, ein Friedensreich Hundertwasser der Politik zu werden. Mit ein paar gezielten Nadelstichen brachte sie seine Seifenblasen zum Platzen. Und wenn nicht sie, so schrieb ein gekränkter Feuilletonist dem Ministerpräsidenten die Leviten, weil er den Ernst der Kunstlage nicht begreifen wollte.
Dann verabschiedete sich Oskar Specht, der seine Bildersammlung mit Hundertwasser-Drucken begonnen hatte und mittlerweile einen Chagall, einen Baumeister und manch andere Kostbarkeit sein eigen nannte, von seinen Träumen wie ein ertapptes Kind.
Mitte Januar stattete der Staatssekretär im Außenhandelsministerium der DDR, Dr. Alexander Schalck-Golodkowski, Ministerpräsident Specht einen verschwiegenen Besuch auf Schloß Monrepos ab. Abteilungsleiter Mendel war dabei, Gundelach nicht. Kurz danach, am 6. Februar, wurde in Ostberlin der zweiundzwanzigjährige Chris Geoffroy
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