Monrepos oder die Kaelte der Macht
bei dem Versuch, nach Westberlin zu fliehen, erschossen. Zwei Wochen später besuchten Specht, Bönnheim, Gundelach, Mendel und eine große Delegation von Unternehmern und Wissenschaftlern die Führungsspitze der DDR.
Sie wurden vom Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, Staatssekretär Dr. Bertele, im Westberliner Steigenberger-Hotel abgeholt und fuhren zusammen zum Übergang Bornholmer Straße. Dort begrüßte sie der Chef des Protokolls des Außenministeriums der DDR, Botschafter Jahsnowski. Im Eiltempo ging es weiter zum Schloß Niederschönhausen, dem Gästehaus der Regierung.
Gundelach versuchte, Eindrücke von der Umgebung zu sammeln, die an der Wagenkolonne vorbeihuschte; es war so wenig möglich wie in Moskau. Die Ostberliner, das allerdings sah er, kümmerten sich nicht um die schwarze Wageneskorte, der salutierende Vopos an jeder Kreuzung freie Fahrt verschafften. Ein an obrigkeitliche Fremdkörper gewöhntes Volk, dachte er. Es fiel ihm schwer, sich die vermummten Menschen als Landsleute vorzustellen.
Im Schloß Niederschönhausen hatten sie gerade noch Zeit, eilfertigen Bediensteten das Gepäck in die Hand zu drücken. Dann rasten Specht, Dr. Bertele und Jahsnowski im ersten, Mendel und Gundelach im zweiten Fahrzeug zum Gebäude des Staatsrats. Kurz vor elf Uhr (offenbar die im Ostblock bevorzugte Zeit zum Empfang von Kapitalisten) trafen sie ein und nahmen im Empfangssaal Aufstellung. Punkt elf öffnete sich die Tür, und Generalsekretär Honecker, ZK-Sekretär Mittag und Staatssekretär Herrmann, der Leiter der Ostberliner Staatskanzlei, traten ein.
Honecker begrüßte Specht freundlich, Bertele zuvorkommend, die Beamten flüchtig. Ohne weitere Vorrede bat er die Besucher in sein Arbeitszimmer. Man nahm an einem großen runden Tisch Platz, um den in exaktem Abstand sieben Stühle gruppiert waren. Mittig zur Stuhllehne standen sieben Kaffeetassen auf dem Tisch. Protokollchef Jahsnowski hatte sich schon im Empfangsraum verabschiedet und die Tür zum Arbeitszimmer diskret geschlossen. Als sie saßen, erschienen aus einer anderen Tür zwei Serviererinnen und gossen Kaffee ein.
Gesprochen wurde nicht.
Gundelach nutzte die Pause, um sich in Honeckers Arbeitszimmer umzusehen. Es war mit demselben hellen Holz getäfelt, aus dem auch der völlig aufgeräumte Schreibtisch, der Besuchertisch und die Stühle gefertigt waren. Stil der sechziger Jahre, West. An einer Wandseite spannte sich die große schwarzrotgoldene Fahne mit Hammer, Sichel und Ährenkranz.
Die Damen verschwanden, Honecker schlug die vor ihm liegende Ledermappe auf und begann, einen mehrseitigen Vermerk vorzulesen. Er sprach stockend und leise.
Er begrüße den Besuch Spechts, sagte er, den er ja aus Begegnungen in den Jahren 1986 und 1987 bereits kenne, und sehe darin eine gute Möglichkeit zur Vertiefung der gutnachbarlichen Beziehungen zwischen den Staaten der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Die DDR sei an der Fortführung des Prozesses der Entspannung in Europa und am Ausbau der wirtschaftlichen, kulturellen und humanitären Zusammenarbeit beider deutscher Staaten, ungeachtet der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme, interessiert. Dies habe sie bewiesen durch die konstruktive Mitarbeit am KSZE-Folgetreffen in Wien und durch die Verordnung über Reisen von Bürgern der DDR nach dem Ausland vom 1. Januar 1989 sowie durch die einseitige Abrüstungsinitiative, bis Ende 1990 die Nationale Volksarmee um 10000 Mann zu reduzieren, 6 Panzerregimenter aufzulösen, 600 Panzer zu verschrotten und 50 Kampfflugzeuge außer Dienst zu stellen. Leider würden diese Vorleistungen wie auch die wiederholten Abrüstungsinitiativen des Generalsekretärs der KPdSU, Genosse Gorbatschow, von militaristischen NATO-Kreisen immer wieder unterlaufen, wie auch deren Forderung nach Entwicklung eines Lance-Nachfolgesystems zeige, das die Fortschritte beim Abbau atomarer Mittelstreckenraketen aushöhlen solle …
Es war nicht leicht, Honeckers monotonem Aktenvortrag konzentriert zu folgen. Selbst die Passagen, die mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen gespickt waren, verlas er müde und haspelnd wie ein überdrüssiger Katechet vor schlafender Gemeinde. Unterschiedslos im Tonfall pries er die wirtschaftliche und technologische Stärke der DDR, bedauerte ›Provokationen‹ an der Staatsgrenze, leugnete irgendeine Form von Schießbefehl, verurteilte das Tun der ›sogenannten Zentralen
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