Monrepos oder die Kaelte der Macht
Erfassungsstelle‹ in Salzgitter, betonte die positiven Auswirkungen des Grundlagenvertrags, unterstrich das Interesse der DDR an weiteren Kooperationen in der Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik, äußerte seine Bereitschaft zu gemeinsamen Projektentwicklungen von VEB-Kombinaten und westdeutschen Unternehmen, und las und las.
Als er endlich fertig war, klappte er die Mappe zu und stärkte sich mit einem Schluck Kaffee. Danach sah er abwechselnd Günter Mittag und Oskar Specht an.
Specht schien von Honeckers marionettenhaftem Bürokratismus eingeschüchtert. Umständlich zählte er auf, wer aus seinem Unternehmerkreis mit welchem DDR-Kombinat eine wie geartete Zusammenarbeit anstrebe. Es hagelte Begriffe wie Blechbearbeitungszentren, Spiralbohrerschleifmaschinen, Bogenoffsetdruckmaschinen, Flachstrickautomaten, unter denen sich kein Mensch in der Runde etwas vorstellen konnte. Doch Honecker nickte jedesmal mechanisch und sagte am Ende der Aufzählung, er sei mit allen Vorschlägen einverstanden. Das vom Genossen Mittag bereits gebilligte Konzept sei sehr gut und könne noch vor der nächsten Leipziger Messe in Angriff genommen werden.
Einzig die Tatsache, daß Specht – wohl abweichend von den zuvor ausgetauschten Papieren – Gespräche erwähnte, die seine Freunde Kiefer und Mohr unlängst mit Repräsentanten der DDR geführt hatten, sorgte für kurzzeitige Unruhe hinter Honeckers matten Augengläsern. Kiefer hatte vor einer Woche vergeblich versucht, einem Hauptabteilungsleiter des DDR-Außenhandelsministeriums die Einfuhr von 190er Mercedeslimousinen schmackhaft zu machen. Und Mohr wollte ein digitales Telefonvermittlungssystem an die DDR verkaufen und hatte Specht um politische Unterstützung gebeten.
Honecker reagierte ablehnend. Man stehe vor anderen großen Investitionsentscheidungen, sagte er und fügte fast trotzig hinzu: Die Deutsche Demokratische Republik wird noch in diesem Jahr den Ein-Megabit-Chip zur Serienreife bringen!
Was das mit Autos und Telefonen zu tun hatte, blieb sein Geheimnis. Doch Specht insistierte nicht weiter und lenkte die Unterhaltung auf einen geplanten ›DDR-Wirtschaftstag‹ in der Landeshauptstadt und mögliche Austauschprojekte im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturabkommens.
Honecker entkrampfte sich ein wenig. Offenbar hatte er das beruhigende Gefühl, wieder auf Gleisen angelangt zu sein, die sein Apparat schon befahren und für tauglich befunden hatte.
Nach einer Stunde war die quälende Audienz vorbei, und der protokollarische Teil des Programms schloß sich an. Der Generalsekretär bat zum Mittagessen ins Palais Unter den Linden.
Die Altherrenriege des SED-Politbüros war erstaunlich vollzählig vertreten. Auf Toasts wurde verzichtet. Dafür erzählte Günter Mittag Witzchen zum Verhältnis von Kapitalismus und Kommunismus, bei denen der Kommunismus klippschülerhaft schlecht wegkam. Ost und West lachten jedesmal herzlich ob dieses Ausweises liberaler Selbstironie. Specht berichtete von seinem Vorhaben, der Familie Weimar, Dresden und Meißen zu zeigen. Honecker gab sich informiert: das gewünschte Besuchsprogramm sei den zuständigen DDR-Behörden bereits übermittelt worden. Selbstverständlich werde alles Erforderliche für einen gelungenen Aufenthalt veranlaßt.
Gundelach saß neben Schalck-Golodkowski. Seine Versuche, den massigen Mann mit dem glattgescheitelten Haar in eine Konversation zu verwickeln, blieben erfolglos. Der Staatssekretär hatte nur Augen und Ohren für das Parlando, das von der Mitte der Tafel über Blumengestecke, Kristallgläser und Gedecke aus Meißner Porzellan zu den Enden hin tröpfelte.
Nachts lag Gundelach lange wach und quälte sich mit der Frage, was er anderntags im Internationalen Pressezentrum des Außenministeriums den Journalisten erzählen sollte. Specht hatte im Anschluß an das Treffen mit Honecker nur ein kurzes Statement abgegeben. Morgen würde er nach einem Besuch der Akademie der Wissenschaften ins Auto steigen und zum nächsten Termin nach Hannover eilen. Die Einzelheiten der Verhandlungen mit Günter Mittag und Wissenschaftsminister Weiz sollte Gundelach verkaufen.
Normalerweise hätte ihn diese Aufgabe gereizt. Durch den Tod Chris Geoffroys aber waren die Journalisten weniger an deutsch-deutscher Blechbearbeitung interessiert als an der Frage, warum die Politik sich taub stellte, wenn Schüsse fielen und ein junger Mensch verblutete. Die einzig befriedigende Antwort wäre die Mitteilung gewesen, daß Specht
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