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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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es wahrscheinlich die schlimmste Erfahrung, die er in diesem historischen deutschen Herbst machen mußte: zurückgeworfen zu sein auf das Bedeutungsniveau, mit dem er vor elf Jahren begonnen hatte. Während der deutsche Kanzler in die Weltpolitik eingriff und dabei rasch an Statur und Sicherheit gewann, stand Oskar Specht abseits und schaute zu. Das Regionale war wieder sein steiniger Acker geworden, den er zu pflügen hatte.
    Einen Tag vor der Öffnung der Berliner Mauer tagte man in Barcelona, um das mühselige Partnerschaftsgeschäft mit Katalonien, Rhône-Alpes und der Lombardei voranzubringen. Am Tag danach saß man mit dem CDU-Landesvorstand in einem kleinstädtischen Hotel beisammen, das sinnigerweise ›Kette‹ hieß, und bereitete einen ›Kleinen Parteitag‹ vor. Deutschland wuchs, Spechts Aktionsradius schrumpfte.
    Helmut Kohl überraschte Freund und Feind mit einem Konföderationsplan für beide deutsche Staaten, Specht hatte auf einer gemeinsamen Kabinettssitzung mit der rheinland-pfälzischen Regierung die Frage zu erörtern, wie die Deichhöhen links und rechts des Rheins am besten anzugleichen wären. Gelangweilt las er während der Sitzung Zeitung, und als Wilhelm Wagner, der dröge Nachfolger des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Vogel, ihn vorsichtig fragte, wie denn nun verfahren werden solle, fauchte er über den Zeitungsrand hinweg: Das ist mir vollkommen wurscht, ich nehm an, wenn wir den Damm rechts aufschütten, fließt das Hochwasser nach links, und umgekehrt!
    Da half es auch nichts, daß er Anfang Dezember eilends nach Dresden aufbrach, um eines Vier-Augen-Gesprächs mit dem neuen Regierungschef der DDR, Hans Modrow, teilhaftig zu werden. Eine Woche später flog der Kanzler in Dresden ein und wurde vieltausendfach bejubelt: Wir sind das Volk!
    Der Strom der Geschichte floß an Specht vorbei. Um die Dämme brauchte er sich in der Tat nicht mehr zu besorgen.
    Weitgehend unbeachtet blieb auch die Präsentation des Europabuchs ›Vision 2000‹. Die Wirklichkeit war visionär genug. Der Spiegel lehnte es ab, Auszüge aus dem Werk zu drucken. Gundelach unternahm gar nicht erst den Versuch, die Hamburger Meinungsmacher umzustimmen.
    Statt dessen flog er auf Einladung der John-Hopkins-Universität nach Washington, um an einem mehrtägigen Seminar über das Thema ›vierzig Jahre Grundgesetz‹ teilzunehmen. Dort traf er Professor Dukes wieder, der einen großartigen verfassungsrechtlichen Vortrag in fürchterlichem Englisch abhaspelte, bis es selbst der altfränkisch-duldsamen Natur des Redners zuviel wurde und er, begleitet vom dankbaren Applaus des Auditoriums, um einen Dolmetscher bat. Kanzlerberater Horst Teltschik war da und sonnte sich im Glanz einer das deutsche Schicksal ungewohnt interessiert verfolgenden amerikanischen Aufmerksamkeit. Eher still und brummig beobachtete dagegen der Staatssekretär im Justizministerium, Klaus Kinkel, die Diskutanten, die mit der Stange ratloser Eloquenz im Nebel geschichtlicher Veränderungen herumstocherten.
    Gundelach mischte sich unter die beachtliche Schar bundesdeutscher Spitzenbeamter, die den amerikanischen Gelehrten Aufschluß über einen Prozeß geben sollten, den sie selbst nicht verstanden, und absolvierte gewissenhaft alle Lunch- und Dinnereinladungen, die er im Hotelzimmer vorfand. Er verabredete einige ›special meetings‹ mit amerikanischen Ökonomen und Administratoren und hatte in summa das erhebende Gefühl, trotz des auch hier nicht unbemerkt gebliebenen Kurssturzes seines Chefs als Person immer noch wahrgenommen zu werden. Man war bescheiden geworden.
    Zum Briefeschreiben kam er nicht. Dafür kaufte er eine poppige Jacke mit NFL-Sticker für Benny. Er wußte nicht, was die Buchstaben bedeuteten, aber alle amerikanischen Jungs, die etwas auf sich hielten, liefen damit herum.
    Nach drei Tagen flog er zurück nach Deutschland und wurde von seinem Fahrer in Frankfurt abgeholt. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er: Wir fahren zuerst nach Heidelberg, zur Ludolf-Krehl-Klinik. Machen Sie schnell! Als er eine Stunde später das düstere Backsteingebäude betrat und nach dem Patienten Professor Wrangel fragte, bedeutete ihm der Pförtner routiniert-wissend, indem er seinen Blick kurz ins Belegungsbuch senkte, Wrangel liege in einem der Sterbezimmer unterm Dach. Gundelach fand das Zimmer am Ende eines langen dunklen Flurs und trat ohne anzuklopfen ein. Der Raum war noch kleiner, als er ihn sich vorgestellt hatte. Eine Kammer

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