Monrepos oder die Kaelte der Macht
Zeit, um von Bandung, wo die Indonesier Flugzeuge und Hubschrauber bauen, einen Abstecher nach Jogjakarta zu machen. Jogjakarta ist die alte Königsstadt Javas; man kann durch wunderbare Paläste und Tempel schlendern und begegnet moslemischen, buddhistischen, hinduistischen und altjavanischen Kunstwerken. Ein buntes Gemisch verschiedener Religionen und Kulturen also, und dennoch fügt sich harmonisch eins zum anderen. Auch die Menschen wirken gelassen und anmutig, manche bewegen sich so graziös, als tanzten sie.
Ich habe auch getanzt, Benny, doch das muß im Vergleich zu den geschmeidigen Schritten und fließenden Gesten der zierlichen Tänzerinnen schlimm ausgesehen haben. Sie ließen aber nicht locker beim abendlichen ›Kulturprogramm‹ und kamen immer wieder zu unserem Ehrentisch, bis Specht sagte: Das fällt unter Öffentlichkeitsarbeit, das machen Sie!
Also hab ich versucht, den leichten, runden Bewegungen zu folgen, die sie auf der Bühne zum Klang von Trommeln, Gongs und Xylophonen vorgeführt haben, und Specht hat sich halbtot gelacht, weil es sicher aussah, als trample ein Elefant durch einen Porzellanladen. Zur Belohnung bekam ich eine große geschnitzte und bemalte Stabpuppe geschenkt, die einen Gott darstellen soll, der Glück bringt. Die Puppe trägt prächtige Gewänder, aber ihr Gesicht ist eine ziemlich furchterregende Maske, und deshalb bin ich mir nicht so sicher, ob das mit dem Glückbringen stimmt. Es gibt nämlich in der fernöstlichen Mythologie nach meinem Eindruck mehr böse als gute Geister – was ja wohl ein getreuer Schattenriß der Wirklichkeit ist. (Den letzten Satz vergißt Du besser, er ist eine typische Erwachsenenphrase!)
Jedenfalls hat mein angeblicher Glücksgott mich nicht davor bewahrt, am nächsten Tag aus Versehen Cola mit Eis zu trinken, und seitdem wird mir immer wieder heiß und kalt, als hätte ich Schüttelfrost. Wir sind ins Landesinnere gefahren, um die 1200 Jahre alte buddhistische Tempelanlage des Borobudur zu besichtigen, ein riesiger Schrein aus schwarzem Lavagestein, der jahrhundertelang unter Vulkanasche begraben lag. Die Sonne heizt Mauern und Skulpturen bis zu über sechzig Grad auf, so daß dir die Kleider am Leib kleben und du froh bist, nach deiner Rückkehr am Fuß des Tempels einen Getränkeverkäufer zu finden. Aber jedes Kind weiß, daß man in den Tropen kein unabgekochtes Wasser trinken darf – nur ich hatte es gerade vergessen.
Was Du jetzt wohl gerade machst, mein Sohn? Sitzt Du in der Schule und hörst aufmerksam zu, oder folgen Deine Gedanken auch den Schiffen in die Ferne, wie es mir ergeht? Es ist so schwer, sich aufs Alltägliche zu konzentrieren, wenn man das Gefühl hat, aus der Realität herausgefallen zu sein. Ich weiß nicht einmal mehr, wie spät oder früh es jetzt bei Euch ist. Und schon beginne ich zu zweifeln, ob ich Dir diesen Brief überhaupt schicken soll.
Den letzten langen Brief, den ich vor elf Jahren an meine Eltern schrieb, habe ich auch nicht abgesandt. Er muß noch irgendwo in meinem Schreibtisch liegen. Auch damals war mir, als wäre ich aus der Wirklichkeit herausgefallen und in eine Vergangenheit abgeglitten, die mit bleichen Armen nach mir greifen wollte.
Das verstehst Du nicht, und Du sollst es auch nicht verstehen. Es ging um Todesurteile und um Schuld, und ich konnte nicht begreifen, daß man junge Menschen erschießen lassen und danach ruhig weiterleben und die Toten vergessen und in der Politik ein großer Mann werden kann. Zehn Jahre später aber wird in Berlin ein Junge erschossen, und ich schüttle dem Mann, der das zu verantworten hat, die Hand, esse an einem Tisch mit ihm und höre mir seine senilen Witzchen an.
Wo ist da der Unterschied? Was macht die Politik aus uns?
Damals hatte ich die Kraft, mich zu lösen. Ich sah eine Zukunft vor mir, und die Zukunft war mit zwei Menschen verbunden: mit Specht und mit Deiner Mutter, die ich kurz danach geheiratet habe. Aber dann hat sich herausgestellt, daß ich eigentlich mit Specht verheiratet bin, und darum hat Deine Mutter mich verlassen. Woher soll ich heute noch die Kraft nehmen, mich zu lösen?
Mein Kopf glüht. Ich bin krank, Benny. Wieder ein Brief, den ich zerreißen oder in die Schublade stecken werde. Warum gelingt es mir nicht, einfach und leicht mit Dir zu reden, wie andere Väter das können? Von Japan wollte ich Dir noch berichten, von der Riesenstadt Tokio, dem Riesenberg Fudjijama und einer Fabrik, in der Roboter Roboter bauen. Statt dessen
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