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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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schiebe ich mich dauernd dazwischen, schiebe mich zwischen Dich und mich und zerstöre alles.
    Die Wahrheit ist, daß es niemand mehr lange bei mir aushält, weil ich nur noch in politischen Kategorien denken, sprechen und zuhören kann. Mein hölzerner Dämon, der mich grimmig anstarrt, hat mehr Lebenskraft in sich als ich. Ich bin ein Roboter geworden, der mit Sprache Kunstwelten produziert, obwohl er längst abgekapselt in seiner Burg wohnt und eigentlich tot ist. Darum habe ich mich auch in der lautlosen leeren Maschinenwelt zu Füßen des Götterberges so wohl gefühlt. Maschinen und Götter und nichts dazwischen. Nichts was dir nahe kommt und dich lügen macht. So wird man auf Monrepos, wenn man nicht rechtzeitig flieht.
    Siehst Du, mein Sohn, so ist das. Nicht einmal aus der Ferne schaffe ich es, mich Dir zu nähern. Nicht mal Asien und der indische Subkontinent und die arabische Halbinsel und die Meere dazwischen trennen uns weit genug, um einfach nur die Arme nach Dir auszustrecken und Dir zu sagen, wie sehr ich Euch vermisse. Aber vielleicht läßt sich auch das üben. In vier Wochen fliege ich in die USA, Anfang nächsten Jahres bin ich in Thailand und in Siam. Dann will ich Dir wieder schreiben. So lange, bis mir ein Brief gelingt, der ankommt.
    Die Buchstaben tanzen vor meinen Augen. Es sieht lustig aus. Du würdest lachen, Benny, wenn du es sehen könntest. Oder die Nase kraus ziehen.
    In Liebe
    Geschichte und Geschichten
    Krank kehrte Bernhard Gundelach aus Südostasien zurück, virus- und seelenkrank, mit einem zerknüllten Brief und einer befremdlichen Puppe im Gepäck, die vom Bücherregal herab wie ein großer bunter Greif seinen fiebrigen Leib bewachte und – da schwankte seine Wahrnehmungsfähigkeit – mal schützend wie ein Adler, mal lauernd wie ein Geier die von fließendem Stoff umflorten Arme ausbreitete.
    Wenn aber die Sonne unterging und einen bestimmten Punkt über dem Dach des Nachbarhauses erreicht hatte, glühte auf dem bestickten Brusttuch der Puppe ein ovaler Glasstein wie ein feuriger Opal, und dieses Licht traf den Kranken mitten in die Augen. Es blendete so stark, daß er die Figur nur noch als Silhouette erkennen konnte, ähnlich dem Schattenspiel, das Reisende in Jogjakarta auf pergamentfarbener Leinwand vorgeführt bekommen. In die Blendung hinein begann der Gott zu tanzen und die Arme zu schlenkern, und Gundelach sah ihn mit mächtigen Feinden kämpfen und sie besiegen.
    Er schlief fast während des ganzen Tages; wenn aber das Feuer sich zwischen seine Augen bohrte, erwachte er und starrte mit somnambuler Verzückung auf das magische Spiel. Nur mußte er, der wandernden Sonne wegen, jeden Tag ein Stück weiter zur Seite rücken, und eines Tages fiel er aus dem Bett. Da wußte er, daß er, soweit es in den Kräften seines Wächters stand, wieder gesund war, stand auf und ließ sich ins Büro fahren.
    In der Zwischenzeit war die Welt eine andere geworden. In der DDR strömten die Menschen auf die Straßen, in Warschau und Prag besetzten sie die westdeutschen Botschaften, der Ostblock geriet in Gärung. Erich Honecker tauschte den letzten Bruderkuß mit seinem Bezwinger Gorbatschow, einen Monat später war er aus der Partei, die ihm achtzehn Jahre lang die Stiefel geleckt hatte, ausgeschlossen. Die Mauer in Berlin fiel, der gesamte Führungsapparat der alten SED brach in sich zusammen, die Geschichte öffnete ihre Schleusen.
    Fasziniert beobachtete Gundelach, mit welcher Leichtigkeit der Sturm der friedlichen Revolution, der über den europäischen Kommunismus hinwegfegte, die alten Machtstrukturen zerschlug. Wie welkes Laub wanderten sie auf den Kehrrichthaufen der Vergangenheit, die greisen Bonzen der Politbüros und Zentralkomitees, mit denen man getafelt und konferiert, Phrasen gedroschen und Dokumente paraphiert hatte.
    Wir sind das Volk – vier Worte aus Büchners ›Dantons Tod‹, die hundertfünfzig Jahre lang im Theaterschoß geschlummert hatten, entwickelten mehr Sprengkraft als alle Abkommen und staatsmännischen Attitüden. Vier Worte eines Genius, nach anderthalb Säkulen von der Bühne gesprungen und in den Köpfen und Herzen von Millionen zum Leben erwacht, stürzten Regime.
    Das, fand Gundelach, rückte manches zurecht.
    Auch Spechts Stellenwert rückte es zurecht, und den eigenen natürlich auch. Die Bremer Niederlage konnte nicht einmal mehr als Parteitragödie vermarktet werden, weil es niemanden gab, der sich davon hätte anrühren lassen.
    Für Specht war

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