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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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mit winzigem Fenster, graugestrichen, leer bis aufs Bett und den Nachttisch.
    Wrangel lag mit geschlossenen Augen auf einem Kissen, röchelnd und pfeifend, Schläuche in der Nase und an den Armen, das Gesicht verändert bis zur Unkenntlichkeit.
    Werner, Lieber! flüsterte Gundelach.
    Ein Zucken ging durch den Körper des Sterbenden. Er hob, ohne die Augen zu öffnen, mit einer gewaltigen Kraftanstrengung den Kopf. Suchend fuhren die Hände durch die Luft.
    Bleib liegen, sagte Gundelach und nahm Wrangels Hände.
    Doch der Kranke wollte nicht zurücksinken. Er zog an Gundelachs Händen, als wollte er sich aufrichten, sein Mund formte lautlose Worte.
    Sei ruhig, Lieber, sagte Gundelach. Ich bin da, ich verstehe, was du mir sagen willst.
    Jetzt endlich entspannte sich der heiße, verkrampfte Leib, der Kopf fiel wie ein abgetrennter Gegenstand aufs Bett. Nur die Hände zuckten und drückten.
    So hielt Gundelach Wache, er wußte nicht wie lange, und sagte seinem Freund mit leiser, besänftigender Stimme, daß er bald erlöst sein werde. Daß er ihn liebe und nie vergessen und in seinem Herzen als Freund und Vorbild bewahren werde.
    Irgendwann glätteten sich die vom Leid entstellten Züge, Wrangels Arme sanken zur Seite. Endlich konnte Gundelach weinen.
    Am Abend starb Professor Wrangel. Zweiundsechzig Jahre alt war er geworden. Die Beerdigung erfolgte eine Woche später. Gundelach hielt die Trauerrede. Specht kondolierte schriftlich.
    Tage und Wochen flossen dahin. Gundelach bezog eine Altbauwohnung im Westen der Stadt; Zweizimmer, Küche, Bad, ohne Balkon und Bäume vornedran, wie er es sich vorgestellt hatte. Nur waren die Räume riesengroß, und weil er aus der früheren Wohnung kaum Möbel mitgenommen hatte, plagte ihn das Gefühl des Alleinseins in den hohen leeren Gehäusen erst recht.
    Ab und zu flüchtete er in eine der Kneipen, die es in der Nachbarschaft zuhauf gab. Gern hätte er mit Wildfremden über Fußball und Frauen geschwätzt, doch die Wirte erkannten ihn schnell und meinten, mit ihm politisieren zu müssen. Wie ein Stigma klebte das auf seiner Stirn.
    Dann versuchte er es mit Einladungen und stellte wieder einmal fest, daß niemand da war, mit dem er sich einfach so treffen konnte. Andreas Kurz war im Sommer ins Kultusministerium gewechselt und reagierte auf Gundelachs Anruf höflich, aber unmißverständlich ablehnend. Paul Bertram schob seine Stadtratstätigkeit vor, die ihn abends regelmäßig unabkömmlich mache. Dr. Weis, der während des letzten Jahres im Schloß kaum mehr zu sehen gewesen war, befand sich seit einigen Monaten im vorgezogenen Ruhestand und mied jeden Kontakt. Jüngere Kollegen aber oder jene geschäftsmäßigen Partygänger, denen Gundelach auf jedem Empfang begegnete, betrachteten eine Einladung gleich als gesellschaftliche Verpflichtung. Sie rückten mit Blumen und parfümierten Damen an und stürzten ihn von einer Verlegenheit in die andere.
    So gab er es schließlich auf, seiner Junggesellengrotte Leben einhauchen zu wollen. Er verstaute Waschsachen und einige Kleidungsstücke in seinem Dienstzimmer und nächtigte des öfteren auf der Chaiselongue.
    Doch seltsam – gerade jetzt, da er sozusagen mit Haut und Haaren dem Schloß verfallen schien, kam es ihm vor, als nehme ein neues Lebens- und Freiheitsgefühl von ihm Besitz. Auf dem Parteitag in Bremen war etwas geschehen, dessen Tragweite ihm erst nach und nach bewußt wurde.
    Oskar Specht hatte mehr als nur ein Mandat verloren. Seine politische Zukunftsfähigkeit war ihm abhanden gekommen, die Faszination des unbedingten, rücksichtslosen Willens zur Macht. Indem er davor zurückgeschreckt war, seine politische Existenz aufs Spiel zu setzen, um das höchste Ziel zu verfolgen, hatte er zugleich den Anspruch verwirkt, von seiner Gefolgschaft das Absolute zu verlangen. Plötzlich war es erlaubt, Vergleiche zu ziehen und in Relationen zu denken: Wofür hatte man alles Private aufgegeben und sich zum Werkzeug machen lassen? Wofür hatte Werner Wrangel Krieg mit der Universitätsspitze geführt? Wofür hatte Sören Tendvall still gestiftet? Wofür waren all die feinen Netze zu Wissenschaft und Publizistik gesponnen worden?
    Soll und Haben ließen sich nach der Enttäuschung, die Specht seiner Mannschaft und vielen im Land bereitet hatte, saldieren. Ab jetzt mußte er teilen. Monrepos gehörte ihm nicht mehr allein.
    Gundelachs Distanziertheit, die über lange Jahre hinweg nie ganz geschwunden, aber doch immer ein als Dienst an der

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