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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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wütend attackiertes Gutachten ab, was Spechts Verehrung für den eloquenten Weltökonomismus ihres Geschäftsführers jedoch keinen Abbruch tat. Immerhin ließ sich Eckerts Begabung, globale politische und wirtschaftliche Zusammenhänge amerikanisierend aufzupusten, gut für die ›Third Top Management Conference 1990‹ nutzen, bei der unter Spechts, Reuters und seiner Regie eine ›Declaration of Interdependence‹ verabschiedet wurde. Deren Kernbotschaft, daß die Welt ungeheuer in Fluß geraten sei, wäre allerdings auch in einfaches Deutsch zu fassen gewesen, wenn man aus den Schloßfenstern in Richtung Bonn oder Berlin geblickt hätte.
    Von den dortigen Ereignissen aber war Specht weiter denn je entfernt, und wenn er und Gundelach nach Leipzig und Dresden, nach Davos oder Moskau reisten, um wenigstens einen Schatten der Weltpolitik, die Deutschland besonnte, zu erhaschen, so war es nichts weiter als ein betrübliches Hinterherstapfen in Spuren, die ein Größerer, von der ›Gechichte‹ dazu Ausersehener gezogen hatte.
    Gorbatschow erübrigte im Kreml ein knappes Viertelstündchen für Specht, dann mußte er zurück zum Kongreß der Volksdeputierten. Der neue Präsident der Sowjetrepublik Rußland, Boris Jelzin, dem Specht bei seinem Besuch vor zwei Jahren noch aus dem Weg gegangen war, weil er ihn für einen unsicheren Kantonisten hielt, hatte seinerseits nun gar keine Zeit.
    In Davos, Anfang Februar, schmuggelte sich Gundelach ins streng abgeschirmte Hotel Belvedere (er kannte sich dort ja aus), um das erste informelle Treffen zwischen Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Modrow zu beobachten. Mit seinen Getreuen am Tisch sitzend, plaudernd und scherzend, ließ der Kanzler den schmächtigen Sachsen eine halbe Stunde lang nervös auf- und abgehen, ehe er ihn überhaupt eines Blickes würdigte. Gundelach brauchte keine weiteren Studien, um zu wissen, wer wem die Bedingungen diktieren würde.
    Wo Kohl sitzt, wirkt alles wie schon entschieden, berichtete er dem Ministerpräsidenten, der das nicht gerne hörte; aber es war die Wahrheit. Blitzbesuch in Moskau, Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, Staatsvertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion, Durchbruch im kaukasischen Schelesnowodsk, Einigungsvertrag, Wiedervereinigung: Traumwandlerisch sicher preschte da einer durch die aufgelösten Reihen der Weltordnung, von dem zuvor nie Visionäres zu hören gewesen war – während die politischen Visionäre vom Dienst Mühe hatten, aus der Roßäpfelspur die Himmelsrichtung zu erraten, in der die Quadriga des Geschickelenkers davonstürmte.
    Das waren bittere Lehrstunden für Specht und Gundelach, und nach einigen halbherzigen Anläufen, mit der zweiten und dritten Garde des ostdeutschen Übergangsstaates politische Nachlese zu halten (was sich als ziemlich sinnlos erwies, weil die Ansprechpartner vor der nächsten Sitzung meistens schon wieder von der Bildfläche verschwunden waren), gaben sie es auf und widmeten sich, nunmehr endgültig, einem zähen, freudlosen Regionalismus, der im überstürzten Gang gesamtdeutscher Ereignisse allenfalls als Fußnote vermerkt wurde.
    Es mußte eine besondere Pein für Oskar Specht sein, stunden- und tagelang von gleich zu gleich mit wechselnden, unbekannten Departementchefs, Regionalkammerpräsidenten, Bezirkspräfekten und Landeshauptleuten zu verhandeln. Wenn sich dann aber doch einmal eine Person von provinzübergreifender Bedeutung darunter fand, zog er sich mit dem Betreffenden dankbar in einen Winkel des Konferenzgebäudes zurück und frönte ausgreifenden geopolitischen Gedankenspielen. Er war es sich einfach schuldig, den Schein zu wahren.
    Nicht preisgegeben hatte er, selbstredend, auch den Anspruch, seinen Auftritten durch die Wahl des Fortbewegungsmittels staatsmännischen Anstrich zu verleihen. Und so flogen sie in gecharterten Düsenjets, was das Zeug hielt, nach Riva del Garda, um mit Bayerns Max Streibl über die Vorherrschaft bei der ›Vereinigung der Regionen Europas‹ zu streiten, nach Budapest, weil das dortige Demokratische Forum Wahlkampfhilfe erwartete, nach Paris zur Ausstellungseröffnung eines befreundeten Malers, nach Dresden und Wien, Verona und Osnabrück, Nürnberg und Rotterdam. Wo immer das seltsame Geflecht aus Landes-, Partei- und Wirtschaftsinteressen einen brauchbaren Anlaß hergab, schwebten sie ein.
    Und natürlich hielt es sie nicht nur in Europa, diesem von den Großen der Welt neu vermessenen Kontinent, in dem ihre Geschäftigkeit, wie sie

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