Monrepos oder die Kaelte der Macht
einprogrammiert sind. Berghoff hat gesagt, da schließt er sich gleich an, und so haben wir noch eine Weile rumgeflachst, bis Frau Bunse gesagt hat, der Kleine muß jetzt ins Bett. Dann sind wir alle mitgegangen, um uns frischzumachen für später, wenn die Jagdhornbläser von Isny heraufkommen – die bringen dem Berghoff und seinen Gästen nämlich jedes Jahr zu Sylvester ein Ständchen –, und wie wir im Gang stehen und uns kurz verabschieden wollen, sagt Bunse zu seiner Frau: Nimm mir bitte mal den Kleinen ab, er wird mir so schwer. Gibt ihr seinen Sohn, greift sich ans Herz, fällt um und ist tot. – Und jetzt, sagte Specht leise, muß ich mich natürlich um seine Frau kümmern, da gibt es eine Menge zu regeln und zu klären, und am Freitag ist die Beerdigung, wo ich die Trauerrede halten soll.
Noch nie hatte Gundelach Specht so lange von einem persönlichen Schicksal reden hören, noch nie war der Klang seiner Stimme so brüchig gewesen. Eine Welle der Sympathie für den verletzbaren, menschlichen Oskar Specht, die er nicht mehr in sich vermutet hätte, hinderte ihn daran, auf der Klärung politisch-taktischer Fragen zu bestehen.
Am Wochenende, schlug Specht vor, könne man sich zusammensetzen, und Gundelach stimmte zu.
Anderntags teilte ihm Raible mit, es gebe nun auch Nachforschungen wegen eines gemeinsamen Ferienaufenthaltes von Spechts und Mohrs Töchtern auf einem österreichischen Reiterhof 1987 sei das gewesen, und wieder habe der Konzern die Rechnung bezahlt. Auch werde jetzt an den vielen Flügen Spechts mit Firmenjets herumgemacht.
Gundelach bat seinen Stellvertreter, Specht die Notwendigkeit einer baldigen persönlichen Stellungnahme vor der Presse nahe zu bringen und danach unverzüglich den Termin öffentlich bekanntzugeben. Er bekam den Rückruf, Specht wolle sich am nächsten Montag auf einer Pressekonferenz zu allen Vorwürfen äußern. Da man inzwischen mit Gewißheit davon ausgehen konnte, daß der Spiegel in das Thema einsteigen würde, versuchte Gundelach, seine Kontaktleute im Bonner Spiegel-Büro zu erreichen; sie befanden sich noch im Urlaub.
Am Freitag, den 4. Januar, flog er in die Landeshauptstadt zurück. Heike und Benny begleiteten ihn zum Flughafen. Es wird nicht lange dauern, sagte er beim Abschied. Ich bin bald wieder da.
Die Presselandschaft war nach den ›Enthüllungen‹ um Christina Spechts fremdbezahlte Reiterferien deutlich düsterer geworden. Verschiedene Kommentatoren meinten, ein Ministerpräsident verdiene genug, um den Urlaub seiner Kinder selbst finanzieren zu können. Auch wenn Dr. Mohr das Tiroler Vergnügen aus eigener statt aus der Firmenkasse bestritten hätte, sei es von Specht instinktlos gewesen, ein solches Geschenk anzunehmen. Die Unabhängigkeit des Amtes verbiete Zuwendungen jeglicher Art. In den Leserbriefspalten gab es ausschließlich negative Stimmen. Die Opposition sprach von ›unerhörten Vorfällen‹, die Staatskanzlei von ›übler Nachrede‹ und dem infamen Versuch, Kinder in eine politische Auseinandersetzung mit hineinzuziehen.
Die Schlacht war eröffnet, der Fall Specht hatte sich verselbständigt. Der Mensch Specht begrub seinen Freund Bunse und war nicht zu erreichen.
Samstags ging der Spiegel mit einem Paket Vorabmeldungen auf den Markt. Stündlich war in den Nachrichtensendungen des Rundfunks zu hören, das Magazin werde am Montag aufdecken, daß Specht sich zahlreiche weitere Reisen von Dr. Mohrs Elektronikkonzern habe finanzieren lassen: bereits 1984 einen Segeltörn in die Ägäis, 1986 einen weiteren Reiterurlaub seiner Tochter, 1987 eine Reise mit Sohn Rolf durch die DDR. Zudem habe Specht von einem Dutzend Firmen Privatjets für seine aufwendige Reisetätigkeit zur Verfügung gestellt bekommen.
Gundelach und Raible ließen sich den ganzen Artikel per Fax zuleiten; die Analyse des umfangreichen Textes fiel verheerend aus. Unterschiedslos wurden die Privat- und Dienstreisen Spechts als ein System wechselseitiger Kungelei gebrandmarkt, bei dem der Ministerpräsident an Annehmlichkeiten einheimste, was er kriegen konnte, während die freigiebige Industrie dafür durch politische Sondereinsätze für lukrative Aufträge entlohnt wurde. Alle je ins Gerede gekommenen Unternehmerfreunde waren säuberlich aufgelistet. Spechts Kanadaurlaub mit Kiefer und die anschließende Kehrtwende beim Einführungstermin für den Katalysator waren ebensowenig vergessen worden wie ein Großauftrag, den Dr. Mohr nach einem Trip mit Specht und
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