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Monrepos oder die Kaelte der Macht

Monrepos oder die Kaelte der Macht

Titel: Monrepos oder die Kaelte der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Zach
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das Gehirn nicht doch schon in Mitleidenschaft gezogen war.
    Gundelach genoß den Aufenthalt in Heikes Wohnung wie das Aufwärmen eines halb erfrorenen Körpers am Ofen. Morgens, nach dem Frühstück, brachte er Benny in die Schule und fuhr anschließend zum Krankenhaus. Mittags holte er ihn ab, ging mit ihm essen, wartete, bis er Schularbeiten gemacht hatte, dann besuchten sie Heike gemeinsam.
    Wenn sie erschöpft eingeschlafen war, bummelten Benny und er durch Hamburg. Sie schauten den Schwänen und Segelbooten auf der Alster zu und dachten sich Geschichten aus:
    Was heißt eigentlich das NFL auf deiner Jacke?
    Mein Gott, das weiß doch jeder! National Football League!
    Nein. Nach Fuhlsbüttel Laufen, heißt das.
    Das ist Quatsch. Dann lieber: Nur Für Lustige!
    Na gut, diesmal hast du gewonnen. Aber ich denke mir noch etwas Besseres aus!
    Benny war stolz, seinem Vater die große Stadt zeigen zu dürfen – Mönckebergstraße und Michel, Pöseldorf und Blankenese, Hagenbeck und, vergnügt pfeifend, Sankt Pauli.
    Es wird Zeit, daß ich zurückkomme, sagte Heike, als sie davon hörte. Du verdirbst den Jungen.
    Er mich, sagte Gundelach. Er weiß verdammt viel von der Welt.
    Das war so übertrieben nicht. Es zeigte sich, daß Benny einen unstillbaren Hunger an Reiseliteratur entwickelt hatte, an Schilderungen ferner Länder, in die der schwer verständliche Beruf seinen allzeit beschäftigten Vater geführt hatte. Manches wußte er aus früher Erinnerung, anderes dichtete seine Fantasie hinzu. Abends holte er Bücher und den großen beleuchteten Globus, tippte auf einen Kontinent und sagte:
    Erzähl mir davon!
    Er tippte mit geschlossenen Augen, und wenn sein Finger ein Land traf, in dem Gundelach schon gewesen war, mußte der ihm berichten; sonst war Benny an der Reihe.
    Gundelach bemühte sich, so anschaulich wie möglich Kanadas Weite und New Yorks Höhe, der Pyramiden Mächtigkeit und des Yangtse spiegelndes Gleichmaß erstehen zu lassen – es war nichts im Vergleich zu der Spannung, die sein Sohn beschwören konnte, wenn er südamerikanische Maya und Azteken oder tibetische Nomaden leben, kämpfen und sterben ließ. Gundelach erzählte von Dingen, Benny von Menschen und Schicksalen.
    Zwei Wochen nach ihrer Einlieferung wurde Heike aus der Klinik nach Hause entlassen. Sie war noch schwach, doch bestand kein Zweifel, daß sie vollständig genesen würde. Die Ursache ihrer Gehirnhautentzündung blieb unklar. Kein Zeckenstich, kein verborgener Eiterherd. Ein Virus eben. Die Welt ist voller Viren.
    Gundelach wunderte sich nicht allzusehr. Exakt vor einem Jahr war er viruskrank von Java zurückgekehrt, hatte fiebernd und fantasierend im Bett gelegen und seinen kleinen Dämon leuchten und tanzen sehen. Es mußte so sein. Einen besseren Beweis, daß man zusammengehörte, gab es nicht.
    Vorsichtshalber hatte er die Puppe mit nach Hamburg genommen. Sie im Krankenzimmer aufzustellen, war ihm allerdings verboten worden. Ärzte und Schwestern meinten, ihr Anblick könnte bei der Patientin einen Schock auslösen. Sie hatten keine Ahnung, aber Gundelach fügte sich. Sollen die ihren medizinischen Teil erledigen, dachte er. Mein Glücksgott besorgt den mystischen.
    Oben auf Heikes Wohnzimmerschrank thronte der Dämon und sah bis zum Uhlenhorster Fährhaus hinüber. Benny fand ihn am geheimnisvollsten in der Dämmerung. Dann steige er wie von einem Berg herab und breite die Arme wie Flügel aus.
    Das eben zeige, daß er wirklich ein Gott sei, sagte Gundelach. Er komme von oben und helfe. Seine Maske diene nur dem Schutz und der Tarnung. Hundertmal lieber sei ihm das als jenes Zwergengesindel mit Menschengesicht, von dem er als Kind immer geglaubt habe, daß es in den Bergen herumkrabbele und Unfug treibe.
    In welchen Bergen? fragte Benny; und Gundelach ging mit seinem Sohn an der Hand noch einmal in die Wälder des Harzes.
    Nach Heikes Entlassung aus der Klinik blieb er noch drei Tage lang in Hamburg und erledigte allerlei Besorgungen für sie. Dann mußte er zurückfliegen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er in den vergangenen zehn Jahren so lange Urlaub genommen und nicht einen Gedanken an den Job verschwendet hatte.
    Unfaßbar war das. Unfaßbar, wunderbar und befreiend.
    Specht, hörte er, als er telefonisch seine Rückkehr avisierte, sei absolut sauer. Ihn so hängen zu lassen in entscheidenden Tagen deutscher Politik!
    Was kümmerte es ihn?
    Proportionen, zurechtgerückt.
    Heike sagte nicht viel beim Abschied, doch ihre

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