Monrepos oder die Kaelte der Macht
Arme berührten seine lange genug, um den sanften Druck zu erwidern, das Erkennungszeichen, daß die Starrheit auch der großen und langen Krankheit aus ihren Körpern zu schwinden begann. Und Benny, mit sicherem Gespür für eine notgeborene Chance, die er besser und energischer genutzt hatte als die Erwachsenen, bestimmte: Weihnachten feiern wir hier zusammen. Und Sylvester auch. Sag deinem Chef gleich, er soll sich darauf einrichten!
Weihnachten also. Das war doch immerhin ein Ziel. Ein Anker, der die Kette spannte, wenn Anwürfe, Hauptverhandlungen, Strafbefehle die See aufwühlten, wenn Voyeurismus und Denunziantentum wie blasiger Schlamm nach oben trieben.
Was für eine Geschichte mit den Ägäisreisen, die ihm nicht mitgeteilt zu werden brauchte, weil alles schon bestens geordnet war? Er wollte sie gar nicht mehr wissen. Sollten sie glücklich werden damit oder nicht. Sein Schiff lag neu vertäut.
Mitte Dezember stattete Specht dem französischen Staatspräsidenten Mitterrand seinen Abschiedsbesuch als deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter ab. Gundelach begleitete ihn. Die Champs-Elysées erstrahlte im Glanz von Myriaden Lichterketten. Der Kies vor dem Amtssitz am Quai d’Orsay leuchtete.
Im Erdgeschoß des Elysées-Palastes herrschte unprotokollarisches Treiben. Tische und Bänke wurden geschleppt, antike Möbel weggetragen, Bänder, Kugeln und Luftballons an Decken und Wänden befestigt. Erhitzte, rotwangige Kinder rannten durch die Räume, lachten und schnatterten wie die Erwachsenen.
Que se passe-t-il ici? fragte Gundelach die Protokollbeamtin, die sie in Empfang genommen hatte.
Oh, excusez! sagte sie mit verlegenem Lächeln. Nous préparons la fête traditionelle de noël pour les enfants de nos employés. Il y a toujours une ambiance gaie et vivace.
Et chaque année vous videz le rez-de-chaussée pour les enfants?
Mais oui! C’est leur fête!
Et le chef d’Etat y participe?
Bien sur. Il se réjouit toujours d’avance de cette fête!
Frankreichs Staatspräsident freut sich darauf, mit den Kindern seiner Mitarbeiter Weihnachten zu feiern, dachte Gundelach beeindruckt. Es geht also doch.
Specht wurde von einem Offizier die Treppe hinaufgeleitet. Gundelach sah nicht einmal hin.
Es geht also doch.
Letzte politische Ölung
Am 28. Dezember, einem Freitag, erschien in der auflagenstärksten Zeitung des Landes ein großer Artikel mit der Überschrift: ›Warum der Name Oskar Specht herausgehalten wird‹.
Mitte Mai 1986, hieß es da, habe Ministerpräsident Specht mit seiner Familie und der des befreundeten Vorstandsvorsitzenden Dr. Mohr eine einwöchige Reise auf einer Luxusyacht durch die Ägäis unternommen. Die Schiffscharter sei mit vierzigtausend, der Flug im Privatjet mit fünfzigtausend zu Buche geschlagen. Die Kosten habe Dr. Mohr über seine Firma als steuermindernde Betriebsausgaben abgerechnet, wobei der auf die Yacht entfallende Anteil zunächst von der Fluggesellschaft übernommen und anschließend über fingierte Rechnungen an sie zurückerstattet worden sei. Das Muster der Manipulation, schrieb der Redakteur, gleiche jenen Privatflugreisen zu Lasten des Unternehmens, derentwegen Dr. Mohr jetzt unter anderem vor Gericht stehe. Seltsamerweise habe aber die Staatsanwaltschaft gerade die Ägäis-Kreuzfahrt mit der Familie Specht aus der Anklage wegen Betrugs und Untreue herausgehalten und das Verfahren insoweit eingestellt. Zur Begründung werde angeführt, bei umfangreichen Strafverfahren sei es prozeßökonomisch sinnvoll und üblich, das Verfahren auf die wesentlichen Tatbestände zu beschränken. Auch wäre nicht von vornherein auszuschließen, daß Dr. Mohr die Ausgaben für die Familie Specht als betriebsbezogen, weil dem Unternehmen nützlich, eingestuft hätte.
Gundelach erfuhr von dem Vorgang beim Frühstück in Uhlenhorst. Sein Stellvertreter Raible, der Stallwache hielt, rief ihn an und berichtete, er habe gestern eine Anfrage zu der Ägäisreise erhalten und sie nach Rücksprache mit Specht bestätigt. Der MP sehe die Sache außerordentlich gelassen. Es bereite nachgerade Schwierigkeiten, ihn in Berghoffs Allgäuer Hotel Jagdhaus überhaupt für landespolitische Themen zu interessieren.
Specht sei ja auch der Meinung, daß Gustav Kalterer alles im Griff habe, antwortete Gundelach und fragte Raible, ob er von Kalterer informiert worden war. Raible verneinte.
Sie verständigten sich darauf, erst einmal die Reaktionen auf den Artikel abzuwarten und das Ganze so
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