Monrepos oder die Kaelte der Macht
wird sich dem letztlich nicht verschließen können, weil er jedem einzelnen zu Dank verpflichtet ist.
Gundelach ordnete sein Besteck auf dem Teller.
Finden Sie nicht, sagte er, daß Sie die Zwangsläufigkeit der Entwicklungen ein wenig übertreiben? Wenn man Sie so reden hört, gerät Breisinger in eine geradezu klassisch ausweglose Lage, wie der tragische Held der Antike, der nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat.
Weis sah ihn lange aus wässrigen, fahlen Augen an. Seine Backen blähten sich von aufsteigender Magenluft, die er leise zischend entweichen ließ.
Er ist eine tragische Figur, sagte er schließlich. Er weiß es nur noch nicht. Jeder große Sieg trägt den Keim der Niederlage in sich. Das ist ein unumstößliches Prinzip der Dialektik oder, wenn Sie es naturwissenschaftlich haben wollen, die notwendige Entropie politischer Systeme. Die dynamischen, erfolgreichen Kräfte wandern ab, verselbständigen sich, die trägen, mittelmäßigen bleiben. Der Reibungsverlust nimmt zu, die politische Energie schwindet, bis endlich ein Zustand maximaler Mediokrität erreicht ist, der innovative Stillstand, die sich selbst genügende Sklerose. Dann implodiert das System, etwas Neues entsteht, und die ganze Chose beginnt von vorne. Am Anfang des Prozesses aber – setzte Weis mit heiterem Lächeln hinzu – sieht es nur so aus, als hätte jemand die falschen Leute behalten und die richtigen ziehen lassen.
So also ist das, murmelte Gundelach, angelte nach seinem Tablett und erhob sich. Und wir zwei bleiben?
Wir bleiben. Es muß auch Chronisten des Niedergangs geben.
Wie tröstlich!
Nach diesem wenig erbaulichen Diskurs empfand es Gundelach beinahe als Akt ausgleichender Gerechtigkeit, in sein Zimmer zurückkehrend die schöne und lebhafte Studentin der Politischen Wissenschaften, Irmgard Breisinger, vorzufinden.
Wie gewöhnlich trug sie ihr grünes Kollegheft mit sich, in das sie, was ihr im Verlauf der plaudernden Unterhaltung festhaltenswert erschien, mit kindlich gerader Schrift eintrug. Und wie sie es gleichfalls als Brauch eingeführt hatte, nahm sie nicht auf einem der unbequemen Stühle Platz, sondern auf dem Fußboden; die Beine gekreuzt, das Heft auf den Knien und den Blick auf Gundelach gerichtet, dem diese Kombination von akademischer Freiheit und scholarer Unterordnung anhaltende Verlegenheit bereitete. Zumal Heike Blank nicht davon abzubringen war, des öfteren und ohne anzuklopfen hereinzustürmen und mit kalter Miene Auskünfte zu erfragen, deren Vordergründigkeit die Grenze zum Boshaften streifte.
Das Thema, dem sie sich widmeten, war schwierig genug. Irmgard, wie Gundelach sie auf ihren Wunsch hin ansprach, wußte viel über Kommunikations- und Wirkungsforschung, zumindest hatte sie sich etliches dazu angelesen. Verstärkerhypothese und Zwei-Stufen-Fluß-Theorie, selektive Wahrnehmung und Persuasionseffekt entsprangen ihren Lippen wie ärztliche Befunde, ausgestreut bei morgendlichen Visitationen. Gundelach staunte und schämte sich seiner Unwissenheit. Eigentlich hätte er als professioneller Medienmensch das Instrumentarium, dessen man sich bediente, besser kennen müssen. Doch Irmgard versicherte glaubhaft, fünfundneunzig Prozent aller Journalisten hätten, wie Untersuchungen zeigten, von den gesellschaftlichen Folgen ihres Tuns auch keinen blassen Schimmer und, schlimmer noch, es interessiere sie auch gar nicht.
Was aber hatte es mit dem Gegenpol der medialen Kommunikationskette, der ›politischen Willensbildung‹, auf sich? Wessen Willensbildung hatte Irmgards Professor mit diesem listig dem Grundgesetz entlehnten, gleichwohl diffusen Begriff überhaupt gemeint – die des Volkes oder nur die der Parteien? Sollte am Ende politische Willensbildung nichts anderes sein als ein Synonym für Politik schlechthin? Das fragte Breisingers Tochter mit erwartungsvollen Blicken den juristisch beschlagenen Öffentlichkeitsarbeiter, der darüber mehr als einmal in, sagen wir, intellektuellen und physiognomischen Erwiderungsnotstand geriet.
Papi sagt, die Dinge liegen ganz einfach. Indem die Medien der Hauptträger öffentlicher Meinung sind, haben sie eine besondere Verantwortung dafür, daß sich politische Willensbildung im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vollzieht. An diesem Auftrag, der für den öffentlichrechtlichen Rundfunk noch verstärkt gilt, findet auch die Pressefreiheit ihre Grenzen.
Und was folgert er daraus, konkret, meine ich? fragte Gundelach vorsichtig.
Zum
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