Monrepos oder die Kaelte der Macht
nicht aufrüttelnd genug denken. Man stelle sich vor: Da ist einer Regierungsrat in einem Landratsamt, Beamter wie du und ich, sicherlich mit einem guten Examen empfohlen, doch das sind andere auch, und eines Tages gelingt ihm der Sprung ins Innenministerium, wo er das Glück hat, einem neuen Minister zu begegnen, dessen Parteibuch das seine ist, und schwupp! darf er sich Persönlicher Referent nennen. Dann wird sein Chef, gerade zur rechten Zeit, Ministerpräsident, weil dessen Vorgänger nach Bonn berufen wurde, der Glückspilz nimmt in der Grundsatzabteilung Platz und hat ihn kaum warmgesessen, als er sich auch schon zu ihrem Leiter bestellt sieht, denn sein Vorgänger wechselt ins Finanzministerium. Durchläuft mit Siebenmeilenstiefeln alle Etappen dienstlicher Beförderungsmöglichkeiten, in deren Gestrüpp neunundneunzig von hundert braven Beamten ermattet hängenbleiben, weitet seinen Einfluß zielstrebig und unaufhörlich aus, bewahrt sich dabei eine aufreizende, jugendliche Chuzpe, läßt den Kragenknopf offen und die Haare über die Ohren wachsen, stellt den Ministerialdirektor kalt und ärgert den Staatssekretär bis zur Weißglut – und als jeder Rechtschaffene glaubt, nun komme aber endlich ein Deckel auf den überkochenden Topf, hält der Mensch mirnichtsdirnichts Einzug in der Staatssekretärs-Suite, läßt dem armen Mittelständler kaum noch Zeit, seine Siebensachen zu packen und hat fortan Anspruch auf Titel, B II-Bezüge, Dienstwagen, Chauffeur und Persönlichen Referenten.
Und das alles vor unseren Augen!
Das war so umwerfend, daß die übrigen Neuigkeiten dagegen verblaßten und des Kommentierens kaum für wert befunden wurden. Viele waren es ohnehin nicht, und Gundelach mußte Dr. Weis ein Kompliment für seine scharfsinnige Prophetie aussprechen, welches er allerdings mit der Hoffnung verband, weitere Treffer, besonders im Hinblick auf die ›sich selbst genügende Sklerose‹ des endgültigen Niedergangs, mögen ihnen erspart bleiben.
Sah man von der krankheitsbedingten Auswechslung des Landwirtschaftsministers und der Zurruhesetzung des Staatssekretärs für Vertriebenenfragen ab, war das neue Kabinett Breisinger das alte – eine Tatsache, die in der Presse kritischen Widerhall fand. Denn die erfolglosen Versuche des Ministerpräsidenten, Oskar Specht durch Verleihung ministerieller Würden zu disziplinieren, waren nicht verborgen geblieben. Dafür sorgten der Umworbene und sein Adlatus Tom Wiener schon selbst.
Wie es schien, wäre Breisinger zu großen Zugeständnissen bereit gewesen. Ein Innenminister Specht hätte Kompetenzen erhalten, von denen der jetzige Amtsinhaber nur träumen konnte. So mußte der junge, ungestüme Antipode des Alten immer neue Forderungen nachschieben, die Unterstellung der Landesbank und Zuständigkeiten für Verkehrsfragen reklamieren, die Vertretung der Regierung im Ältestenrat beanspruchen (er, der noch nicht Vierzigjährige!), und als alles Taktieren nichts half, sich einen Beschluß der CDU-Fraktion besorgen, der ihn förmlich ersuchte, auf dem Posten des Vorsitzenden zu verbleiben.
Breisinger grollte ihm tief und gab auf. Die Öffentlichkeit aber nahm mit Verwunderung zur Kenntnis, daß ein Mann, der den politischen Gegner bis ins Mark gedemütigt hatte, nicht imstande war, seinen Willen in der eigenen Partei durchzusetzen. Von einer verpaßten Chance war die Rede und davon, daß sich ein Stück Machtverschiebung zugunsten der Fraktion ereignet hätte.
Auch das Zerwürfnis zwischen Kahlein und Breisinger sorgte für Wellenschlag. Nun, da er seinen Stuhl einem Karrierebeamten überlassen mußte – ausgerechnet er, der Beamtenfresser und geradewegs jenem, der mitgeholfen hatte, ihn ins Abseits zu drängen! –, begann man wieder, sich für ihn zu interessieren. Es gibt bekanntlich Konstellationen des Scheiterns, die dem Betroffenen mehr publizistische Anteilnahme verschaffen, als er sie bei ruhigem Fortgang der Dinge je hätte erringen können.
Kahlein also avancierte für eine kurze Spanne zum gesuchten Interviewpartner, und er nutzte die Bühne, um seinen Abgang in eine freiwillige Demission umzudeuten, die er als Protest gegen die wachsende Bevormundung der Politik durch bürokratische Apparate verstanden wissen wollte. Das gab er, soweit es zur Veröffentlichung bestimmt war, auf gemessene, staatstragende Weise zu Protokoll.
In Hintergrundgesprächen, deren er sich mit dem Eifer eines lange Verkannten und Verschmähten bediente, ließ er es
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