Monrepos oder die Kaelte der Macht
freilich an Deutlichkeit nicht fehlen. Breisinger, so lautet seine Diagnose, befinde sich in beklagenswerter Abhängigkeit von Müller-Prellwitz, Bertsch und Pullendorf, die ihn mehr und mehr von der Außenwelt isolierten. Der Realitätsverlust des Ministerpräsidenten schreite erschreckend voran, was von Unternehmern wie Abgeordneten mit Sorge registriert werde. Er, Kahlein, habe über Jahre hinweg versucht, den Kokon zu zerreißen, den der Hofstaat um den Regierungschef gesponnen habe, und er sei dafür bis an den Rand der Selbstverleugnung gegangen. Denn schon vor vier Jahren sei ihm von Breisinger das Amt des Wirtschaftsministers angetragen worden. Dann aber habe sich herausgestellt, daß der um seine Wiederwahl Besorgte Versprechungen dieser Art so freigiebig ausgestreut hätte, daß ihre Einlösung zu einer Doppel- und Dreifachbesetzung jedes Postens hätte führen müssen. Kahlein, der Getreue, habe nicht weiter insistiert und sei auf Breisingers Bitten in die Staatskanzlei gewechselt, gegen die bindende Zusage freilich, daß seine Ernennung zum Minister mit Beginn der nächsten Legislaturperiode nachgeholt werde. Und nun, Gipfelpunkt der Schurkerei, hätte Breisinger davon nichts mehr wissen, sondern ihn mit dem lächerlichen Posten eines Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium abspeisen wollen.
Was er, Kahlein, darauf geantwortet habe?
Rudolf, du kannst mich am …! habe er geantwortet.
So fäkalisch-fatalistisch gestaltete sich, wenn man den ins Kraut schießenden Gerüchten glauben durfte, der Abgang des Staatssekretärs und Financial-Times-Lesers, der einst als Mann mit großer Zukunft gegolten hatte, ehe ihn der unselige Drang befiel, sich mit der Administration anzulegen. Seiner verbitterten Gemütsverfassung gemäß verbat er sich jede Verabschiedung. Nach wenigen Tagen war er verschwunden.
Da ließ es sein Nachfolger lauter und lustiger angehen! Noch ehe er die Ernennungsurkunde in der Hand hielt, lud er das Haus zu einem rauschenden Fest ein, das sich mit vorrückender Morgenstunde mehr und mehr in den nach Maienblüte duftenden, knospenden und austreibenden Park verlagerte. Als aber die feierliche Zeremonie im Landtag endlich stattgefunden und die neue Regierung ihre vertrauten Ledersessel im frisch getünchten ovalen Saal des Schlosses Monrepos wieder eingenommen hatte, gab Staatssekretär Müller-Prellwitz seiner Abteilung einen Abschied, der von denen, die dabei waren, als ›einmalig und unvergeßlich‹ geschildert, von anderen, die der Spuren des bacchantischen Gelages am nächsten Tag ansichtig wurden, als bis dahin größte Herausforderung des Putzfrauengeschwaders eingestuft wurde.
Ministerialdirektor Renft, so hieß es, sei ungehalten und traurig gewesen, habe aber doch auch ein gewisses Verständnis für die überschäumende Freude der ›jungen Garde‹ gezeigt.
So wollen wir es auch halten.
Regierungserklärung, Parlamentsdebatte, Haushaltsverhandlungen, Arbeitsprogramm – langsam nahm das Staatsschiff wieder Fahrt auf. Soweit der politischen Navigation, die des verläßlichen Kompasses entbehren muß, und den publizistischen Wetterprognosen zu trauen war, lag eine weite, ungefährdete Reise vor Breisinger und seiner Mannschaft. Die Klippen der Wahl waren souverän gemeistert, die kurzen Turbulenzen des Übergangs ohne sichtbaren Schaden überstanden. Die Maschinen des gut eingespielten, auf christdemokratischen Kurs getrimmten Verwaltungsapparats stampften im Takt. Lustlos und verzagt, von Selbstzweifeln geplagt, segelte das Oppositionsfähnlein hinterher.
Breisinger gönnte sich einen zweiwöchigen Besuch der Volksrepublik China und genoß es, von Hua Guo-feng, dem Nachfolger Mao Tse-tungs, zu einem mehrstündigen Gespräch in der Großen Halle des Volkes in Peking empfangen zu werden. Er machte eine staatsmännische Figur und konnte es sich leisten, anschließend zu erklären, daß er nicht für das Amt des 1979 zu wählenden Bundespräsidenten zur Verfügung stehen werde. Sein Ziel wäre vielmehr, auch 1981 wieder als Ministerpräsident des Landes bestätigt zu werden. Oskar Specht beeilte sich, diese Ankündigung wärmstens zu begrüßen.
Von außen betrachtet, nahm alles seinen vorgezeichneten Gang. Doch Bernhard Gundelach, nun schon über ein Jahr dabei und spätestens seit seiner Versetzung auch wirklich ›drinnen‹, spürte anderes. Es war, als bildeten sich feine Risse in dem einst so monolithischen Fundament; als kehrte der hochgezüchtete Kampfgeist der
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