Monrepos oder die Kaelte der Macht
Beispiel, daß es für Medienorgane eine Pflicht zu ausgewogener Berichterstattung gibt. Einseitige Informationen würden das Abwägen des Für und Wider erschweren, was das Gegenteil von freier Meinungsbildung wäre – sagt Papi.
Hm … Ich glaube nicht, daß sich das juristisch so halten läßt. Immerhin gehört ja auch Kritik zur politischen Willensbildung, und Kritik enthält wohl immer ein subjektives Moment, sie ist notwendig einseitig, sozusagen.
Das ist gut gesagt, ja, rief Irmgard erfreut und schrieb in ihr Kollegheft. Dann jedoch hielt sie inne.
Könnte also eine Zeitung ohne weiteres behaupten, daß es in Stammheim Isolationsfolter gibt?
Das wohl nicht. Verleumdungen werden durch die Pressefreiheit, die nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze gewährleistet ist, nicht gedeckt. Es dürfte ja auch niemand behaupten, daß Ihr Vater im Dritten Reich –
Erschrocken brach Gundelach ab. Breisingers Tochter sah ihn mit großen Augen an.
Daß mein Vater – was?
Nichts, entschuldigen Sie!
Ich will, daß Sie den Satz zu Ende führen! Was wollten Sie sagen?
Nun, daß Ihr Vater zum Beispiel im Dritten Reich irgendwelches Unrecht begangen hätte …
Wie kommen Sie denn darauf, um Gottes willen?
Ich weiß es nicht, es war ein unpassender, aus der Luft gegriffener Vergleich. Ich wollte durch diese Übersteigerung nur die Grenzen der Pressefreiheit deutlich machen, und es kam mir gerade in den Sinn, weil Gärtner mir neulich erzählte, daß Ihr Vater, ganz im Gegenteil, Widerstandskämpfer war. Verzeihen Sie …
Er verhaspelte sich, wurde rot und schwieg.
Ach so – sagte Irmgard gedehnt und sah zu Boden. Dann schüttelte sie das brünette, lockige Haar und hob mit emphatischer Geste ihre Hände.
Da sehen Sie, wohin Ihre juristische Argumentiererei führt. Man kommt völlig vom Thema ab. Ich will nicht zum Doctor juris promovieren, sondern eine politisch plausible Erklärung für die Wechselwirkung von veröffentlichter Meinung und öffentlicher Willensbildung finden. Und Sie als Mann der Praxis sollen mir dabei helfen. Klar?
Klar, erwiderte Gundelach gehorsam und dachte: Schöne, schlanke Hände hat sie zudem noch.
Sie stürzten sich nun mit Feuereifer in eine Flut von Definitionen, zerlegten den unförmigen Koloß, der sich auf oft wundersame Weise Ansichten zueignet und Stimmungen aufschäumt, in wissenschaftlich verifizierbare Teilmengen, schichteten eine Meinungspyramide auf, an deren Spitze politische und wirtschaftliche Eliten das Sagen haben, bauten ein Rückkoppelungsmodell, welches den unendlichen Informationsstrom, gefiltert und verändert durch Schichten unterschiedlichster gesellschaftlicher Beeinflussung, wie unterirdisches Grundwasser zu den Medienquellen zurückleitete und teilten nach einer Stunde hitzigen und fröhlichen Diskutierens die Überzeugung, daß niemand imstande wäre zu manipulieren ohne selbst manipuliert zu werden, woraus sich, auf der Ebene höchster Abstraktion, so etwas wie ein allgemeines Wahrheitsdestillat gewinnen ließ, das von keinem wirklich gewollt, gleichwohl real und existent als politische Willensbildung akzeptiert werden müsse.
Dann kam Heike Blank herein und fragte versteinerten Gesichts, wann Herr Gundelach die lange überfällige Pressemitteilung zu diktieren gedenke. Sie sei zwar nur eine Schreibkraft, trotzdem habe sie Anspruch auf einen geregelten Feierabend. Sprach’s und empfahl sich.
Natürlich lag keine Anforderung für irgendeine Art Presseverlautbarung vor. Solange Breisinger die neue Regierung nicht gebildet hatte, gab es nichts zu verkünden.
Auch Irmgard wußte das oder schien es zumindest zu ahnen. Aber mehr als ein gespielt-schuldbewußtes: Oha! dann will ich nicht länger stören!, bei dem die Augen belustigt blitzten und die Mundwinkel spöttisch zuckten, ließ sie sich nicht entlocken.
Übrigens: Papi sagt, wir könnten ruhig auch bei uns zu Hause arbeiten. Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee. Haben Sie nächste Woche Zeit?
Schon im Hinausgehen, die Kollegmappe fest im Arm, fragte sie es und wartete Gundelachs Nicken gar nicht mehr ab.
Auflösung
Also doch!
Was man vermutet, kombiniert, manch einer neidvoll befürchtet hatte, worüber gerätselt und spekuliert worden war, traf schlußendlich ein: Müller-Prellwitz wurde in den Rang eines Staatssekretärs der Staatskanzlei erhoben. Kahlein, der ungeliebte, mußte weichen.
Die Wirkung solcher Veränderungen in einer kleinen, Tür an Tür hausenden Gemeinschaft läßt sich
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