Monrepos oder die Kaelte der Macht
Monreposgemeinschaft in Ermangelung ernsthafter Opponenten sich mehr und mehr gegen sich selbst. Vordem hatte zwischen den Abteilungen und ihren selbstbewußten Chefs ein Wettstreit geherrscht, wer den bedeutendsten Anteil zum gemeinsamen Erfolg beisteuere. Jetzt kreiste das Denken um die Frage, welcher Anteil am gemeinsamen Erfolg dem einzelnen billigerweise zustehe.
Der Aufstieg von Müller-Prellwitz war seinen früheren Kollegen ein schwer verdaulicher Brocken. Hatten sie nicht alle Wesentliches für den Sieg geleistet? Bertsch mit seiner harten, aber klugen Pressepolitik, Pullendorf, indem er das Letzte an Leistung aus den Ressorts herausgepreßt und eine fulminante Ausstellung organisiert hatte, deren Glanz bundesweit erstrahlte? Auch Reck konnte für sich verbuchen, dem Ministerpräsidenten reichlich Munition für den Feldzug gegen die sozialliberale Koalition in Bonn geliefert zu haben. Ohne seine präzisen Bundesratsinitiativen, die sogar den Kanzler ärgerten, wäre der Slogan ›Freiheit statt Sozialismus‹ eine großmäulige, aber zahnlose Attacke geblieben. Und selbst der elegant-bescheidene Dr. Brendel durfte sich zugute halten, dank einer weitsichtigen Personalpolitik der Staatskanzlei jenen überdurchschnittlich qualifizierten und motivierten Mitarbeiterstamm herangebildet zu haben, der Breisinger kongenial vorausdachte und doch, wenn es ums Ernten der politischen Früchte ging, loyal wieder ins Glied zurücktrat.
Nun freilich war einer von ihnen aus dem Glied herausgetreten – nein, herausgehoben und politisch geadelt worden vor den Augen der übrigen. Zweifellos stand Müller-Prellwitz dem Regierungschef am nächsten; aber ebenso unbestreitbar war, daß er seine Stellung und die Kraft seiner Abteilung am rücksichtslosesten für die eigene Profilierung genutzt hatte. Wenn solches Tun belohnt wurde – dann war es wohl an der Zeit, verstärkt an sich selbst zu denken. Denn es bedeutete ja nichts anderes, als daß Leistung allein nicht ausreichte, um von Breisinger gleichbehandelnde Gerechtigkeit zu erfahren.
Nicht, daß der kleine, in seiner Baracke werkelnde Regierungsrat diese verdeckten Strömungen zeitgleich mit ihrem Aufkommen und Anschwellen erkannt und ihre innewohnenden Gefahren scharfblickend erfaßt hätte. Breisinger selbst, der ungleich Erfahrenere, vermochte es nicht. Aber einige Abweichungen vom einstmals festgefügten Lauf der Geschäfte, die auf eine gewisse Nachlässigkeit, ja Uninteressiertheit der Oberen hindeuteten, entgingen ihm nicht. Abteilungssitzungen fielen ein ums andere Mal aus, notwendige Weisungen fehlten. Reaktionen auf Angriffe der SPD erfolgten verspätet oder gar nicht. Führende Leute machten sich rar. Nie zuvor hatte man als Referent soviel Freiheit besessen, zu tun oder zu lassen, was man wollte.
Aber was sollte man anfangen mit einer Freiheit, die, allen Parolen zum Trotz, im eigenen Bereich so ungewohnt war, daß sie das Gefühl schnöden Verlassenseins erzeugte? Auch Dr. Zwiesel, der sich sonst gerne den Anschein höchsten, wenn auch in der Brust verschlossenen Eingeweihtseins gab, verbarg seine Ratlosigkeit nicht länger. Nach dem aktuellen Meinungsstand in dieser oder jener Angelegenheit befragt, zuckte er gekränkt und unwillig die Schultern.
Hinzu kam das hierarchisch völlig ungeklärte Verhältnis zum neuen Staatssekretär. Bei Kahlein waren die Dinge logisch und klar gewesen. Er hatte wenig zu sagen und man ließ sich von ihm wenig sagen – eine grausame, aber leicht zu erlernende Regel. Für Müller-Prellwitz konnte sie gewiß nicht gelten. Doch hieß das umgekehrt schon, daß ihm gleich das ganze Haus zu willen sein mußte? Er seinerseits sah es so und forderte durch seinen Persönlichen Referenten – Büscher, wer sonst? – Vermerke, Reden und Pressemitteilungen für sich ein. Das war, von seiner Warte aus, verständlich. Niemand wußte besser als er, wie leicht ein Staatssekretär ins Abseits gerät. Womöglich riet ihm sein ausgeprägter politischer Instinkt, rasch und entschieden zu handeln, um ein Ausscheiden seines Mentors oder eine Entfremdung zu ihm unbeschadet überstehen zu können. Jedenfalls drängte er mit Macht danach, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden. Er übernahm den Vorsitz eines populären Fußballvereins, ließ keine Gelegenheit zu publikumswirksamen Auftritten verstreichen und traf sich mit dem ehedem verpönten Oskar Specht wöchentlich zum Mittagessen, welches in einem verschwiegenen, ›Kabinettchen‹
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