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Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Titel: Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stagg
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des Hauses bog und mit gesenktem Kopf auf das Tor zustrebte. Annie ging weiter, die Straße hinauf Richtung Picarets. Sie spitzte die Ohren, um zu hören, welche Richtung die Frau einschlug. Und tatsächlich folgte sie Annie mit schnellen Schritten, zweifellosein Überbleibsel aus all den Jahren, die sie in der Stadt gelebt hatte. Véronique war auch so gewesen, als sie von der Hochschule in Toulouse zurückgekehrt war. Immer alles schnell-schnell und ständig in Eile. Aber Fogas hatte ihr das bald ausgetrieben. Warum zum Teufel sollte man sich hier auch wegen irgendetwas beeilen? Es sei denn, man war aus Versehen auf eine Weide geraten, auf der Sarko, der Stier, stand. Annie lachte in sich hinein.
    »Bonjour!« Die Frau hatte Annie erreicht und wollte sie überholen, zögerte dann aber. »Kann ich helfen?« Sie deutete auf die Einkaufstasche, die Annie mehr oder weniger vergessen hatte, da sie so leicht war.
    Annie wollte gerade ablehnen, wie sie es immer tat, als ihr klar wurde, dass sich ihr hier eine perfekte Gelegenheit bot. Gottgegeben, wie Véronique sagen würde. Nicht etwa, dass Annie diesen Quatsch glaubte. Nein, die Zeiten waren vorbei.
    »Danke. Daschwäregroschartig.« Annie hielt ihr die Tasche hin, um die Bedeutung klarzumachen, denn sie konnte erkennen, dass die Frau sie nicht verstanden hatte. Jetzt brach sie doch tatsächlich mit einer langjährigen Gewohnheit und ließ sich von jemandem helfen.
    Die Sonne stand hoch am Himmel, und der Frost war nur noch eine ferne Erinnerung, als Lorna Annies Haus verließ. Der Spaziergang, bei dem sie eigentlich hatte Dampf ablassen wollen, war zu einem netten Beisammensein geworden. Annie blieb an der Hintertür stehen und sah zu, wie die neue Besitzerin der Auberge den Pfad hinunterging. Die Hunde, die sie offenbar in ihr Herz geschlossen hatten, begleiteten sie bis zur Straße. Lorna drehte sich noch einmal um, winkte ein letztes Mal und machte sich dann auf den Weg ins Tal zurück zur Auberge .
    Annie stellte überrascht fest, dass sie noch lächelte, nachdem sie die Tür geschlossen hatte und damit begann, die Tassen und Teller vom Tisch zu räumen. Eine Tasse Tee, in der Tat!, dachte sie und lachte bei der Vorstellung, dass ihre neue englische Freundin dem Klischee gerecht geworden war. Glücklicherweise hatte sich Annie an eine Geschenkpackung Twinings-Tee erinnert, die sie einmal vor Jahren von Véronique bekommen hatte und die, nachdem sie sich gebührend bei ihr bedankt hatte, seither ganz hinten in einem Schrank ihr Dasein fristete. Wie sich herausstellte, war es genau das Richtige gewesen. Annie hatte sogar selbst eine Tasse davon zu den Plätzchen aus der Region getrunken, die sie heute Morgen als Leckerei für Chloé im Laden gekauft hatte. Alles sehr niveauvoll. Véronique wäre stolz auf sie gewesen.
    Sie hatten sich gut eine Stunde unterhalten, und Annie hatte sich die ganze Zeit von ihrer besten Seite gezeigt. Sie hatte schon seit Jahren keinen richtigen Gast mehr gehabt. Ach was, seit Jahrzehnten nicht mehr. Und eigenartigerweise hatten die Sprachschwierigkeiten die Sache auf beiden Seiten leichter gemacht. Sie hatten sich über die Auberge unterhalten, über den Hof, die Gemeinde und über den Bürgermeister, obgleich Annie bei diesem Thema ihre Ansichten für sich behalten hatte. Wie es schien, hatte sich Lorna von seinem Charme einwickeln lassen, und es lag nicht in Annies Absicht, sie von dieser Meinung abzubringen. Zumindest noch nicht. Dafür war noch genug Zeit. Schließlich wusste Annie ja selbst nur zu gut, wie charmant der Mann sein konnte.
    Nachdem sie den Tisch abgewischt hatte, richtete sie sich auf und schaute auf die Uhr. Christian würde jetzt zum Mittagessen zu Hause sein. Sie wollte ihn anrufen und die Dinge ins Rollen bringen, bevor sie das Bett für Chloémachte. Wenn sie vorhatten, Serge Papon auszutricksen, mussten sie rasch handeln.
    Sie ging zu der großen Anrichte hinüber und griff zum Hörer. Dabei fiel ihr Blick auf das Foto, das neben dem Telefon stand. Darauf waren Annie und ihre Eltern vor ihrem Bauernhaus zu sehen. Papa hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt. Maman lachte über etwas, das außer Sichtweite geschah. Es war in der Woche aufgenommen worden, bevor Annie herausfand, dass sie schwanger war. Sie berührte das Bild wie einen Talisman, und während sie wählte, verzogen sich ihre Lippen zu einer schmalen, entschlossenen Linie.
    Fünfunddreißig Jahre waren eine lange Zeit, um mit jemandem

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