Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf
als sie sich auf den Hocker sinken ließ. Froh, dass sie der spöttischen Herablassung von Pascal und Geneviève entkommen war, die sie andauernd schlechtgemacht hatten, bis ihr jegliches Selbstvertrauen abhandengekommen war. Und sie war froh, dass niemand sonst die Tränen sehen konnte, die ihr über das Gesicht liefen.
Es war alles ihre Schuld. Sie hatte ihr Bestes versucht, aber ganz offenbar hatte es nicht ausgereicht, und nun hatte sie alle enttäuscht. Wegen ihr würde das englische Paar nun die Auberge verlieren.
Ein Schluchzer stieg in ihrer Brust auf, verfing sich in ihrer Kehle, beengte ihre Atmung, bis er entwich und sie in ein keuchendes, schluchzendes Etwas verwandelte. Das Herz tat ihr weh, als sich unter der Last der Nacht all die Emotionen einen Weg bahnten, die sie im letzten halben Jahr so mühsam in ihrem Innern vergraben hatte. Sie legteden Kopf auf die Vitrine und weinte, bis sie zu zerfließen glaubte, und ihr schmächtiger Körper zitterte, während die Tränen Spuren auf dem makellosen Glas hinterließen. Sie weinte, weil sie versagt und Christian enttäuscht hatte, und sie weinte um die Websters.
Aber am allermeisten weinte sie um ihren besten Freund, den sie verloren hatte, als sie Jacques verlor.
Jacques konnte nichts tun, außer dazustehen, zuzusehen, wie sich seine Frau die Augen aus dem Kopf weinte, und ihr die Hand auf den Kopf zu legen, ihr übers Haar zu streichen, wie sie es immer so gern gehabt hatte.
Aber sie bemerkte es gar nicht.
Er verspürte einen Schmerz in seiner Brust, als sie so dalag und er ihr nicht helfen konnte. Ein stechender Schmerz wie damals, als sein Herz zum letzten Mal geschlagen hatte und die Welt um ihn herum allmählich verblasst, das Licht immer schwächer geworden und schließlich ganz verschwunden war, bevor er in dieses schwarz-weiße Leben zurückkehrte.
Er spürte, wie Josette unter seiner Hand allmählich ruhiger wurde, die Tränen versiegten und sie schließlich immer tiefer atmete. Sie war eingeschlafen. Wie sie es immer getan hatte, wenn er ihr liebevoll über das Haar strich. Vielleicht war es ihm doch gelungen, sie zu beruhigen. Er strich ein letztes Mal mit seinen Fingern durch ihr Haar und versuchte, sich behutsam wegzuschleichen, um kein Geräusch zu machen, obwohl er sehr wohl wusste, dass ihn niemand mehr hören konnte.
Er ging auf Zehenspitzen durch den Laden zur Tür, die immer noch unverschlossen war, und blickte die Straße zur Auberge hinunter. Josettes Tränen nach zu urteilen, war die Versammlung am heutigen Abend nicht gut verlaufen, undder Bürgermeister würde seinen Willen bekommen. Das war schlimm genug. Aber noch schlimmer war, dass er dabei sowohl Christian als auch Josette wehgetan hatte. Das reichte aus, um Jacques’ Blut in Wallung zu bringen – wenn er noch einen Tropfen Blut in seinem Körper gehabt hätte.
Er seufzte, woraufhin das »Geschlossen«-Schild einmal kurz flatterte. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so machtlos gefühlt.
»Hier drüben. Ich glaube, ich … merde !«
Renés geisterhafter Schrei schallte, getragen von den umgebenden Bergen, durch die Dunkelheit, und Christian wusste sogleich, was das zu bedeuten hatte. Er stürzte zum hinteren Ende des Transporters, ließ die Heckklappe herunter und richtete sich gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie ein Licht über die mondhelle Straße auf ihn zugehüpft kam.
»Er ist … er ist …«, keuchte René hinter dem Licht der Taschenlampe, unfähig, den Satz zu beenden. Aber Christian war bereit, die Seitentür des Lieferwagens schon geöffnet.
»Schneller, René, schneller!«, schrie er, als aus der Dunkelheit hinter dem Klempner ein muskelbepacktes, schnaubendes Wesen mit Hörnern sichtbar wurde, das den Mann vor sich einzuholen drohte.
»Oh Gott … oh Gott …« René rannte an Christian vorbei, die Rampe hinauf und in den Transporter, und der Stier folgte ihm mit donnernden Hufen. Als Christian die Heckklappe zuwarf, verriegelte und das Biest darin einsperrte, überkam ihn für einen Moment ein Gefühl der Panik, dass René möglicherweise nicht begriffen hatte, dass es einen Fluchtweg für ihn gab. Er schaute um die Seite des Fahrzeugs herum und sah zu seiner Erleichterung, dass derKlempner auf dem Asphalt unter der Seitentür zusammengesunken war. Seine Lungen leisteten Schwerstarbeit, während er nach Luft schnappte.
»Das war’s!«, schnaufte er. »Ich geb das Rauchen auf !«
Christian lachte und streckte seinen Arm aus,
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