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Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf

Titel: Monsieur Papon oder ein Dorf steht kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stagg
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eingegipsten Bein saß, aber es hatte angesichts des kleinen Innenraums des Pandas einer Menge Bugsiererei bedurft, was nur noch mehr Heiterkeit verursacht hatte. Fraglos löste sich jetzt alle Anspannung, und Erleichterung machte sich breit.
    Annie umklammerte die Griffe des leeren Rollstuhls. Während sie auf das Krankenhaus zuging, zeigten sich auf ihrem normalerweise ungerührt wirkenden Gesicht tiefe Emotionen. Sie hatte sich bislang nicht erlaubt, darüber nachzudenken, was hätte passieren können. Das war ihrer Ansicht nach verschwendete Zeit. Aber seit dem Feuer wurde sie von Albträumen gequält, schreckte mitten in der Nacht aus dem Schlaf und lag dann verängstigt und allein in ihrem Bett. Die Träume variierten, aber der Ausgang war immer der gleiche: Sie verlor Véronique. Zum ersten Mal, seit ihre Tochter ein hilfloses kleines Baby gewesen war, verspürte Annie tief in ihrem Innern eine große Angst. Und das hatte ihre Beziehung zu Véronique verändert, weshalb sie sich angeboten hatte, den Rollstuhl zur Aufnahmezurückzubringen. Sie wollte einen Termin vereinbaren.
    Annie schob den Stuhl zu dem Schalter, wo er von einer lächelnden jungen Dame in Empfang genommen wurde.
    »KönnenSchiemirschagenwieischurSchahnklinikkomme?«, fragte Annie sie.
    »Pardon?« Das Lächeln der jungen Frau entgleiste ein wenig, als sie sich bemühte, sie zu verstehen.
    »DieSchahnklinik? Wogehtschlang?«
    »Wie bitte?« Das Lächeln der jungen Frau war verschwunden, als sie ihren Kopf schüttelte und die Schultern zuckte. Sie hatte keine Ahnung, was Annie da sagte.
    »Scheischdrauf !«, knurrte Annie verlegen. »Findschonschelbscht.«
    Und damit stürmte sie über den Flur davon und ließ die junge Frau stehen, die ihr mit einem verwirrten Gesichtsausdruck hinterherblickte und sich fragte, ob sie in der Psychiatrie nachfragen sollte, ob denen eine Patientin verlorengegangen war.
    Und Annie war in der Tat irre. Irre wütend. Auf sich selbst. Warum hatte sie es bloß so weit kommen lassen? Warum hatte sie sich nicht schon längst darum gekümmert, ihre Zähne in Ordnung bringen zu lassen? Das Gebiss hatte von Anfang an nicht richtig gepasst, aber das war ihr egal gewesen. Genau genommen hatte sie gar nichts dagegen gehabt, dass man sie nun schwerer verstand. Aber seit dem Feuer machte ihr das plötzlich etwas aus.
    Mit einer gewissen Wut auf sich selbst im Bauch bog sie bei der ersten Gelegenheit ab, überzeugt, dass sie irgendwann auf ein Schild oder eine weitere Infotheke stoßen würde, an der sie noch einmal ihr Glück versuchen könnte. So schwer konnte die Station doch nicht zu finden sein!
    Sie bog gerade in den dritten Flur ab, der sich mit seinemlangweiligen Linoleum, den beigefarbenen Wänden und dem beißenden Geruch nach Desinfektionsmitteln nicht von den anderen unterschied, als sie ihn sah. Irgendein sechster Sinn ließ sie aufblicken, und da war er, am hinteren Ende. Seine massige Statur war unverwechselbar, er strotzte nur so vor Autorität, als er mit einem riesigen Blumenstrauß, über dem sein breites Gesicht kaum zu sehen war, auf sie zugeschritten kam.
    Serge Papon.
    »Mischt!«, fluchte Annie, schnellte herum, sodass sie ihm den Rücken zukehrte, und gab vor, ein Poster über Besucherhygiene zu lesen, um Zeit zu gewinnen. Véronique hatte ihr erzählt, dass er vor ein paar Tagen auf einen Sprung vorbeigekommen war. Sie war gerührt gewesen von seiner Besorgnis. Ausgerechnet. Aber Annie hätte sich nicht träumen lassen, dass seine Besorgnis so groß war, dass er sie nun schon wieder besuchte.
    Sie hörte, wie er gemessenen Schritts auf sie zukam und dann langsamer wurde. Sie machte sich auf die gewohnte Umarmung gefasst, auf die gezwungene Unterhaltung, während der penetrante Geruch seines Rasierwassers sie bereits einhüllte.
    Ein Herzschlag. Dann ein weiterer. Nichts geschah.
    Sie drehte langsam den Kopf, aber der Flur war, abgesehen von einer Krankenschwester, die sich entfernte, leer, das Quietschen ihrer Schuhe auf dem Boden das einzige Geräusch.
    Er musste in eins der Zimmer verschwunden sein.
    Wen besuchte er wohl? Und mit einem so großen Blumenstrauß? Annie trat vorsichtig von der Wand weg und bewegte sich ganz langsam auf die nächstgelegene Tür zu, die offen stand. Sie spähte hinein, sah ihn aber nicht. Bloß zwei Betten mit menschlichen Formen unter der Bettwäsche,die beide an Tropfinfusionen und jeder Menge Schläuchen hingen. Deprimierend.
    Und dann vernahm sie das tiefe Timbre

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