Monströs (German Edition)
nach, den ich gesehen habe, hat er heute zwei Menschen getötet. Und nicht irgendwen, sondern seinen eigenen Bruder und seine Ehefrau.«
Bumann schmunzelte und schüttelte dann den Kopf.
»Das ist doch alles Bockmist, was Sie da verzapfen. Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie wollen doch nur ihre eigene Haut retten. Ich gehe jetzt in mein Zimmer und schlafe weiter.«
»Wie Sie wollen«, sagte Martin und zog Selma an der Hand zu der Treppe, die hinauf in die beiden oberen Etagen führte. Bumann ging genauso entschlossen zurück in Richtung seines Zimmers. Hans Meier schaute zuerst Martin und Selma nach, dann Bumann. Dann entschloss er sich für den Weg der Mehrheit und ging ebenfalls rasch zur Treppe.
Die Drei wagten es nicht, das Licht im Treppenhaus anzumachen. Stattdessen nahmen sie mit der spärlichen Dauerbeleuchtung vorlieb, die aus Sicherheitsgründen bei Tag und Nacht brannte. Das orange Licht reichte gerade aus, um die Stufen zu erkennen.
»Eugen ist kein schlechter Kerl, aber ein unverbesserlicher Dickkopf«, zischte Selma, während sie die Stufen emporstiegen.
»Seine Entscheidung«, gab Martin knapp zurück.
Sein Herz hämmerte. Dunkelheit beschwor nach wie vor schlimme Phantasien in ihm herauf. Mit jeder Stufe, die er höher stieg, hatte er das Gefühl, Teil eines sadistischen Spiels zu sein. Es war, als ob ihm jemand oder etwas folgen würde. Es war der Schatten seiner Angst.
Sie erreichten die Tür zur ersten Etage und lauschten. Alles war ruhig. Martin konnte sogar das Blut in seinen Ohren rauschen hören. Er war froh diese Tür nicht öffnen zu müssen. In dem dahinter liegenden Korridor, in dem auch sein Zimmer lag, konnte jetzt Kaltenbach sein.
Nach einem vorsichtigen Blick um die Ecke des Treppenhauses stiegen sie weiter nach oben. »Wo logieren denn Zurbriggen, Seewald und Söder? Alle in derselben Etage?«, flüsterte Martin Selma zu, die neben ihm ging, während Meier ihnen, sich nach jeder Stufe angstvoll umblickend, dichtauf folgte.
»Der Direktor und Frau Seewald wohnen über der zweiten Etage. Es sind zwei größere Wohnungen, etwas luxuriöser«, sagte Selma. »Söder hat sein Zimmer in einem der Türme. Neben Frau Seewalds Wohnungstür führt eine schmale Wendeltreppe hinauf.«
»In den Türmen ist doch auch die Sternwarte untergebracht. Ist dort noch sonst jemand?«, fragte Martin.
Selma schüttelte den Kopf.
»Um diese Jahreszeit ist dort oben niemand mehr.«
»Gut, überleg´ jetzt mal Selma, gibt es irgendeine Möglichkeit, wie wir doch noch von hier wegkommen können«, flüsterte Martin.
»Nein, zum Gehen ist es angesichts des Sturmes tatsächlich zu gefährlich. Die Bahn ist das einzige Transportmittel. Außer ...«
»Außer was?«
»Neben der Bahnstation führt ein Abstellgleis in einen Schuppen. Da drin habe ich einmal eine uralte Eisenbahn-Draisine gesehen. Sie ist eigentlich ein Museumsstück, aber sie könnte noch funktionieren, wenn sie überhaupt noch da steht.«
Martin nickte. Er wusste, dass Draisinen durch das Auf und Ab eines Handhebels, der wie eine Wippe gestaltet war, auf den Gleisen vorwärts bewegt wurden. Er war mit Paul und Selma auf einer stillgelegten Bahnstrecke einmal damit gefahren. Da es nur bergab ging, war eine Draisine eine viel versprechende Möglichkeit ins Tal zu gelangen. Allerdings wirkte Selma nicht sehr hoffnungsvoll.
»Wie lange ist es her, dass du in dem Schuppen warst?«, fragte Martin.
Selma seufzte.
»Da ist der Haken. Das muss über ein Jahr her sein. Sie könnte inzwischen verschrottet worden sein.«
Die Vorstellung, das Hotel zu verlassen, und dann feststellen zu müssen, dass der Schuppen leer war, behagte Martin ganz und gar nicht. Das Risiko war einfach viel zu groß.
»Fällt dir sonst noch etwas ein?«
Selma schüttelte wieder den Kopf.
»Wenn das Telefon funktionieren würde, wäre es kein Problem. Wir könnten die Polizei verständigen und die Bahn könnte uns abholen«, zischte Meier hinter ihnen.
Martin merkte, wie Meier stockte. Offensichtlich war ihm noch ein Gedanke gekommen.
»Früher hatten wir hier ein CB-Funkgerät, eben für Notfälle. Ich glaube, Söder hat das hässliche Ding vor ein paar Jahren abgebaut und in den Keller verbannt.«
»Das hört sich gut an«, flüsterte Martin.
Er hatte nicht vergessen, dass er Selma fragen wollte, ob sie etwas mit den E-Mails an ihn zu tun hatte. Aber bisher hatte sich einfach noch kein geeigneter Moment ergeben.
Sie hatten jetzt die Tür zur zweiten Etage
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