Monströs (German Edition)
Schluss auf. Er hoffte inständig, dass er sich irrte. Langsam ging er ins Bad. Die Tür war nur angelehnt. Er knipste das Licht an, blickte auf den Waschtisch und zuckte zusammen. Die Tabletten waren weg. Er hatte die Schlaftablette kurz vor dem zu Bett gehen hier mit einem Glas Wasser eingenommen und die Packung auf der Ablage um den Waschtisch liegen lassen. Es gab keinen Zweifel. Er war sich absolut sicher. Die Packung hatte hier gelegen. Ohne weiter nachzudenken, ging er zu seiner Jacke, die über dem vor dem Schreibtisch stehenden Stuhl hing. Er griff in die rechte Seitentasche. Nichts. Dann durchwühlte er alle Taschen der Jacke, um am Ende festzustellen, dass auch der Schlüssel, den Zurbriggen ihm gegeben hatte, fehlte. Der Schlüssel, der es ermöglichte, mit dem Aufzug bis in den Keller zu fahren.
Er stöhnte. Die rasenden Kopfschmerzen waren kaum mehr auszuhalten. In seinem Kulturbeutel fand er wenigstens die mitgebrachten Schmerztabletten. Er ging ins Bad und schluckte zwei Tabletten mit einem Glas Leitungswasser hinunter. Er warf einen Blick in den Spiegel. Er sah zerknittert und mitgenommen aus. Früher war er zufrieden mit seinem Aussehen gewesen. Jetzt Ende dreißig fühlte er sich zwanzig Jahre älter.
Erschöpft ließ er sich aufs Bett fallen. Was hatte das zu bedeuten? Jemand musste, als er geschlafen hatte, in sein Zimmer gekommen sein und die Tabletten und den Schlüssel mitgenommen haben, alles andere jedoch war unberührt geblieben. Sein erster Gedanke fiel auf Kaltenbach. Aber das ergab keinen Sinn. Der Irre hatte Martins Namen mit Blut an seinen Badspiegel geschmiert. Es war offensichtlich, dass er Martin etwas antun wollte. Warum auch immer. Schließlich hatte Kaltenbach schon seinen eigenen Bruder und seine Frau erschossen. Dafür gab es bisher auch noch kein Motiv. Kaltenbach war einfach durchgedreht. Aber das war auch der Knackpunkt. Es passte nicht zu Kaltenbachs bisherigem Verhalten, sich in Martins Zimmer zu schleichen, die Tablettenpackung und den Schlüssel zu stehlen, und Martin völlig unbehelligt zu lassen.
Wer kam noch in Frage? Am wahrscheinlichsten war, dass Marianne Seewald selbst hier gewesen war und sich der Tabletten bedient hatte, um sich später selbst damit zu töten. Die Packung auf dem Wannenrand in Marianne Seewalds Bad gehörte Martin, diesbezüglich hatte er keine Zweifel. Nein, auch das war abstrus. Woher sollte sie gewusst haben, dass Martin Schlaftabletten hatte und was sollte sie mit dem Fahrstuhlschlüssel. Sie hatte doch selber einen.
Dann kam Martin auf Söder. Er hatte sich sonderbar verhalten und war später als alle anderen in Marianne Seewalds Wohnung aufgetaucht. Er hatte eine Pistole und er war definitiv kein gewöhnlicher Hausmeister. Es war Söder durchaus zuzutrauen, dass er Martin in der Nacht einen Besuch abgestattet hatte, und sei es nur, um seine Sachen zu durchsuchen. Dabei hatte er die Tabletten gefunden und den Schlüssel. Aber das hieße ja ...Es war nicht auszuschließen, dass Marianne Seewald gezwungen wurde, die Tabletten zu nehmen, und den Alkohol zu trinken. Vielleicht hatte das Söder getan. Dann ergab auch Söders mit Blut hastig an die Fliesen geschmierter Name einen Sinn. Marianne Seewald wollte damit einen Hinweis auf den Täter geben. Söder war also möglicherweise der Mörder von Marianne Seewald.
Martin fröstelte bei der Erkenntnis. Das bedeutete, dass nicht nur Eddie Kaltenbach im Hotel sein Unwesen trieb, sondern auch Söder. Martin konnte jetzt nicht mehr einfach nur abwarten, sich verstecken, bis zum Morgen und hoffen, dass ihn Kaltenbach nicht fand. Söder war möglicherweise genauso gefährlich und Selma war bei ihm, was bedeutete, dass sie ebenfalls in Lebensgefahr schwebte. Kurz starrte Martin noch auf die Minibar, dann stand er auf und verließ das Zimmer.
29
Selma, Bumann und Söder standen starr und regungslos in dem hell erleuchten Raum, dessen Zugangstür hinter einem Regal verborgen gewesen war. Es war nicht nur irgendein Raum. Mit dem Betreten dieses Raumes waren sie in einer anderen Welt gelandet. In der Welt eines Psychopathen. Nicht der schaurigste Horrorfilm hätte bei den Dreien mehr Entsetzen hervorrufen können, als das, was sie jetzt ansehen mussten.
Den abgetrennten Kopf des Hoteldirektors hatten sie vor ein paar Minuten in einer Kühltasche, die zwischen den Fahrstuhltüren gesteckt hatte, gefunden. Schlimm genug, aber das hier war in seiner skurrilen Brutalität noch schockierender.
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