Monströse Welten 1: Gras
Flumzee?«
Shoethai wies auf einen Pfad, auf dem Highbones in diesem Augenblick erschien, gefolgt von vier seiner Spießgesellen. Beim Anblick des Älteren Bruders blieben sie konsterniert stehen. Im letzten Moment fiel ihnen ein, sich zu verneigen.
»Ich werde mitkommen«, verkündete der Ältere Bruder.
Shoethai heulte auf – nur kurz, aber immerhin lange genug, daß sechs Augenpaare sich auf ihn richteten. Er machte einen Kratzfuß und zog den Kopf ein, so daß seine Stimme zwischen den Knien nach oben stieg, wie Blasen in blubberndem Schlick. »Älterer Bruder, Sie sollten Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen. Sie haben doch wichtige Arbeit…«
»Die ich auch erledigen werde«, fiel Fuasoi ihm ins Wort. »Nachdem Flumzee und die anderen ihren Auftrag ausgeführt haben, werden du und ich uns anderen dringlichen Aufgaben widmen.«
»Ich?« quiekte Shoethai. »Ich?«
»Du. Was soll mit dir sein? Ich habe dir eine Kutte zum Wechseln mitgebracht. Geh wieder rein.« Er wandte sich an Bruder Flumzee. »Ich hoffe doch, daß du dieses Ding fliegen kannst.«
Highbones unterdrückte den Drang, einen Jubelruf auszustoßen und setzte einen gleichmütigen Gesichtsausdruck auf. »Sicher, Älterer Bruder. Ich bin ein ausgezeichneter Pilot.«
»Du kennst das Ziel?«
»Shoethai sagte, es wäre ein Ort namens Datenfelds Hain, im Nordosten von Klive. Ich habe eine Karte. Wir sollen eine Spur verfolgen, die von dort abzweigt.«
Fuasoi grunzte zustimmend. »Shoethai und ich setzen uns in die Heckkabine.« Weil Shoethai anscheinend wieder einen seiner Anfälle hatte, stützte Fuasoi ihn, hievte ihn in den Gleiter, stieg dann selbst ein und schlug die Kabinentür zu.
Die anderen warfen sich Blicke zu und versammelten sich in der Bugkabine, wo Highbones mit der Gelassenheit des Routiniers an den Kontrollen saß. Entweder wurde nun ein lang gehegter Traum wahr, oder er verfügte wirklich über einschlägige Praxis. Seit seiner Ankunft auf Gras hatte er gelegentlich Gleiter geflogen; in seiner Jugend sogar öfter. Und dann lagen die Türme der Abtei schon tief unter ihnen, und sie gingen auf Südkurs.
»Können sie uns von dort hinten hören?« fragte Bruder Niayop alias Steeplehands leise.
Highbones lachte. »Die Triebwerksgeräusche sind doch viel zu laut, Bruder.«
»Gibt es dort keinen Lautsprecher?«
Wortlos deutete Highbones auf die Konsole. Der Schalter befand sich in der AUS-Stellung. Highbones versuchte, möglichst gelassen zu wirken. Seine Spießgesellen stießen Begeisterungsrufe aus, aber in seiner Eigenschaft als Anführer befleißigte er sich einer würdevolleren Haltung; zumindest so lange, bis es ans Töten ging. Dann würden sie ihre gellenden Schreie ausstoßen, wie sie es immer taten. Sie hatten noch nie einen alten Menschen getötet. Sie hatten überhaupt noch keinen Menschen getötet, jedenfalls nicht mit bloßen Händen. Jemanden vom Turm stoßen – das war in ihren Augen kein Mord. Eher ein Spiel. Er war sich nicht ganz sicher, ob er es fertigbringen würde, eine Frau umzubringen; allerdings wußte er, daß er die anderen auf jeden Fall dazu bewegen konnte. Vielleicht würde es ihm ja auch leicht von der Hand gehen. Der Ältere Bruder Fuasoi hatte Shoethai bereits darauf hingewiesen, daß sich womöglich auch Frauen in der Gruppe befänden. Shoethai hatte es Highbones gesagt, worauf Highbones und seine Kumpel die ganze Nacht über dieses Thema diskutiert hatten.
Beim Gedanken an Frauen saß Highbones reglos da; er genoß das Kribbeln in den Lenden, das sich in die Beine ausbreitete und ihm eine Gänsehaut verursachte. Er hatte eine Frau gehabt, bevor man ihn nach Heiligkeit geschickt hatte. Damals war er fünfzehn gewesen. Seither hatte er keine Frau mehr gehabt, aber er hatte es nicht vergessen.
Ihr Name war Lisian gewesen. Lisian Fentrees. Sie hatte weiße Haut gehabt. Ihr Gesicht war von goldenen Locken eingerahmt gewesen. Sie hatte weiche Brüste mit kleinen rosigen Spitzen gehabt, die sich aufrichteten, wenn er an ihnen saugte.
Sie waren immer zusammen gewesen, wenn sie nicht gerade in der Schule waren oder von den Eltern und dem Gottesdienst in Anspruch genommen wurden.
Sie hatte gesagt, daß sie ihn liebte. Er wußte nicht mehr, was er darauf erwidert hatte, aber manchmal mußte er ihr auch gesagt haben, daß er sie liebte. Weshalb hätte sie es sonst sagen sollen?
Eines Morgens hatte er beim Aufwachen eine Hand auf der Schulter gespürt. Durch halb geschlossene Augen hatte er eine Gestalt
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