Monströse Welten 1: Gras
schnaubend. »Weshalb bezeichnen sie ihn nicht als Oberst oder General? Aber Seraph!«
»Wir dürfen uns nichts anmerken lassen! Dieser Hierarch ist nicht dein Onkel, und er mißtraut uns vielleicht allein schon deshalb, weil wir Außenseiter sind.«
Der Hierarch legte indes kein Mißtrauen an den Tag, obwohl er das leicht hätte verbergen können, denn er empfing sie hinter einer transparenten Trennwand, auf deren Vorhandensein er sie auch noch hinwies; als ob sie es nicht selbst gesehen hätten. »Meine Berater«, sagte er. »Man gestattet es mir nicht, mich einem möglichen Risiko auszusetzen.«
»Sehr weise«, bemerkte Rigo.
»Besteht hier ein Risiko, Botschafter?« Der Hierarch trug eine weiße Robe, die am Saum und an der Brust mit goldenen Engeln verziert war. Die metallischen Schwingen tauchten ihn in ein flackerndes Licht, wie eine Aureole. Er hatte ein Dutzendgesicht. Was ihm in dieser Hinsicht an Ausstrahlung fehlte, wurde jedoch durch die Robe kompensiert. »Gibt es Todesfälle?« wiederholte der Hierarch die Frage. »Unerklärliche Todesfälle? Oder Pest-Tote?«
»Das wissen wir nicht«, sagte Rigo; ihm war bewußt, daß der Hierarch womöglich die Klangfarbe ihrer Stimmen analysieren ließ. Die beste Taktik bestand also darin, mit seinem Wissen hinter dem Berg zu halten. Ihn der Lüge zu überführen war ohnehin unmöglich.
»Es verschwinden Menschen auf Gras«, warf Marjorie ihm einen Brocken hin. »Wir versuchen herauszufinden, wie das geschieht und weshalb. Es würde uns vielleicht weiterhelfen, wenn wir wüßten, aus welchem Grund Heiligkeit überhaupt sein Augenmerk auf Gras gerichtet hat. Bisher verfügen wir diesbezüglich nur über spärliche Informationen.«
Der Hierarch taxierte sie von Kopf bis Fuß, als ob er ihren Nährwert ermitteln wollte. Auf diese Art hatte sie noch niemand angesehen, und sie schauderte. Sie war weder als Frau noch als Mensch für den Hierarchen von Interesse; das zumindest stand fest.
»Ich werde Ihnen sagen, was wir wissen. Ein kleiner Funktionär von Heiligkeit besuchte seine Familie. Ein Verwandter, der ebenfalls zu Besuch war, arbeitete als Disponent auf dem Raumhafen von Shafne. Nach Feierabend frequentierte besagter Verwandter manchmal eine Hafenkneipe, wo er sich eines Tages beim Bier mit einem Besatzungsmitglied eines unbekannten Frachters unterhielt. Dieses Besatzungsmitglied sagte, bei einem Freund, dessen Identität auch nicht bekannt ist, wären kurz vor der Landung auf Gras Wunden an Armen und Beinen aufgetreten. Der Kranke wurde in eine Quarantänekapsel gesteckt. Das Schiff lag für unbestimmte Zeit auf Gras. Als es schließlich wieder abflog, war der Mann geheilt.«
»Ist das alles?«
»Besagter Funktionär bestätigte diese Geschichte, nachdem er den Familienbesuch beendet hatte. Der Computer sagt, mit großer Wahrscheinlichkeit hätte das anonyme Besatzungsmitglied die Pest gehabt, aber bisher ist es uns nicht gelungen, die Sache zu verifizieren. Wir haben weder das Schiff noch das Besatzungsmitglied ausfindig gemacht.«
In einer Geste, die Frustration signalisieren sollte, warf Rigo die Hände in die Luft. »Angenommen, die Geschichte ist wahr, dann hätte das Gegenmittel von überallher stammen können. Oder er hatte überhaupt keine Pest. Die Pest ist nämlich nicht die einzige Krankheit mit einer derartigen Phänomenologie!« Er bemühte sich, mit Körpersprache und Klangfarbe Frustration und Angst zu vermitteln. Das war dem Inhalt des Berichts durchaus angemessen und kaschierte zudem seine Nervosität.
Der Hierarch starrte sie ausdruckslos an. »Hat es in der Abtei irgendwelche Überlebenden gegeben?«
Rigo nickte. »Ja, ein paar. Sie gehen wieder zur Abtei zurück, weil sie wissen, daß wir dort nach ihnen suchen.«
»Mein alter Freund Nods – will sagen, Jhamless Zoe?«
Rigo schüttelte den Kopf. Diesmal wollte er sich nicht darauf verlassen, daß seine Stimme die erforderliche Emotionalität transportierte. Nein, Jhamless Zoe war nicht wieder aufgetaucht. Wenn Rigo das verbalisiert hätte, wäre keine Maschine erforderlich gewesen, um zu erkennen, daß er sich über diese Tatsache freute.
Der Hierarch nickte, als ob jemand ihm eine Frage gestellt hätte. »Ich glaube, wir werden eine Weile hierbleiben. Vielleicht taucht Zoe doch noch auf. Oder Sie stoßen auf präzisere Informationen.«
»Rigo«, fragte Marjorie, als sie wieder im Beiboot saßen, »das Besatzungsmitglied in der Quarantänekapsel, falls es das überhaupt gab,
Weitere Kostenlose Bücher