Monströse Welten 1: Gras
nur, vielleicht würde der Kaufmann mich in die Stadt mitnehmen.«
»Brauchen Sie etwas?«
Erneut errötete Eugenie. »Nein. Ich brauche nichts. Ich wollte nur einen Stadtbummel machen, vielleicht auch im Hafenhotel übernachten und mir die Shows ansehen…«
»Es muß hier ziemlich langweilig für Sie sein.«
»Es ist verdammt langweilig«, platzte die Frau spontan heraus. Ihr Gesicht überzog sich mit einer flammenden Röte, und Tränen traten ihr in die Augen.
Nun errötete auch Marjorie. »Das war taktlos von mir, Eugenie. Hören Sie. Ich weiß, daß Sie sich nicht für Pferde und den Reitsport interessieren; weshalb schauen Sie sich in Commons nicht mal nach einem Haustier um?«
»Ein Haustier?«
»Ich weiß nicht, was es dort gibt. Vielleicht Hunde. Oder Katzen. Exotische Vögel. Kleine Tiere sind sehr unterhaltsam. Sie vertreiben einem die Zeit.«
»Oh, davon habe ich so viel«, rief Eugenie fast im Zorn.
»Rigo… nun, Rigo hat sehr viel zu tun.« Marjorie schaute über das Geländer der Terrasse zum multiplen Horizont jenes Abschnitts des Grasgartens, der als Kaleidoskop bezeichnet wurde. Die Höhenzüge waren versetzt hintereinander gestaffelt, wobei sie mit zunehmender Entfernung immer farbloser wurden, bis der letzte Kamm fast mit dem Himmel verschmolz. Belustigt stellte sie eine Assoziation her: Auf die gleiche Art war ihre anfängliche Abneigung gegen Eugenie verblaßt und einer verhaltenen Akzeptanz gewichen. »Bald werden wir unseren ersten offiziellen Empfang geben. Vielleicht lernen Sie ein paar Leute kennen…« Ihre Stimme wurde undeutlich und verwaschen, wie der Horizont vor ihr. Mit wem sollte Eugenie überhaupt Kontakt aufnehmen? Die Kinder verachteten sie. Die Dienerschaft hielt sie für einen Witz. Keiner der bons würde sich mit ihr abgeben. Oder vielleicht doch?
»Da gibt es einige Leute, deren Bekanntschaft Sie machen sollten«, sagte Marjorie nachdenklich. »Ein Mann namens Eric bon Haunser. Und Shevlok, der älteste Sohn der bon Damfels’.«
»Wollen Sie mich etwa loswerden?« fragte Eugenie mit kindlichem Trotz. »Mich irgendwelchen Männern vorzustellen.«
»Ich wollte nur, daß Sie Gesellschaft haben«, erwiderte Marjorie nachsichtig. »Ich möchte, daß wir alle Gesellschaft haben. Falls einige der Männer von Ihnen fasziniert sein sollten, könnten Sie und Stella und ich – selbstverständlich nur inoffiziell -; nun, vielleicht würden sie öfters mal herkommen. Schließlich sind wir hier, um Nachforschungen anzustellen.«
»Reden Sie nicht so, als ob ich Bescheid wüßte. Ich weiß gar nichts. Rigo hat mich nicht eingeweiht.«
»Oh, meine Liebe«, sagte Marjorie, wobei sie das härter getroffen hatte, als sie sich selbst eingestehen mochte. »Aber er muß es Ihnen gesagt haben! Weshalb hätten Sie denn sonst mitkommen sollen?«
Anstatt zu antworten, starrte Eugenie sie nur groß und fragend an. Diese mit Roderigo Yrarier verheiratete Frau, diese Frau, seine Ehefrau, Mutter seiner Kinder, diese Frau… sie wußte es nicht? »Weil ich ihn liebe«, sagte sie schließlich, fast flüsternd. »Ich dachte, Sie wüßten es.«
»Natürlich«, erwiderte Marjorie knapp; zumindest glaubte sie, daß sie es wußte. »Trotzdem wäre ich nicht mit nach Gras gekommen, ohne den Grund dafür zu kennen.«
Obwohl Eugenie von Marjories Tip mit den Haustieren nicht sonderlich begeistert gewesen war, hatte sie ihn befolgt. Normalerweise hätte sie den Rat schon aus Prinzip ignoriert, weil er nämlich von Rigos Frau kam und Rigo es sicher nicht gern gesehen hätte, wenn seine Mätresse einen Rat von seiner Frau annahm, egal, worum es sich handelte. In diesem Fall konnte Eugenie es sich jedoch nicht leisten, einen Rat zu mißachten, der geeignet war, die bedrückende Langeweile zu lindern, an der sie litt. Zu Hause hatte es Restaurants und Parties und jede Menge Unterhaltung gegeben. Sie hatte sich Kleider gekauft und sich mit dem Friseur unterhalten, getratscht und gelacht. Und über all dem, wie ein goldener Faden, der sich durch den Chiffon ihres Lebens zog, hatte Rigo gestanden. Nicht daß sie sich oft gesehen hätten. Keineswegs. Aber für eine lange Zeit hatte er im Hintergrund gestanden, sie mit allem Notwendigen versorgt und ihr das Gefühl vermittelt, begehrt zu werden und wichtig zu sein. Männer wie er, so hatte Rigo dargelegt, mit all seinen Verpflichtungen in Komitees und Clubs und so weiter, brauchten Frauen wie sie als Ausgleich für die ermüdende, aber wichtige
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