Monströse Welten 1: Gras
eine Zeit, wo die Reittiere und Hunde einfach verschwinden. Niemand weiß, wohin sie gehen. Vielleicht Paarungszeit? Oder vielleicht bekommen sie ihre Jungen. Oder so etwas in der Art. Manchmal hören die Leute ein lautes Bellen und Heulen. Dauert eine Woche oder noch länger.«
»Wann?« fragte sie.
»Wenn es eben soweit ist. Keine exakte Zeit. Manchmal etwas früher im Jahr, manchmal etwas später. Aber immer im Frühjahr.«
»Aber weiß denn nicht jeder auf diesem Planeten, wann es geschieht?«
»Jeder dort draußen im Grasland, Lady. In Commons kümmern wir uns nicht darum. Aber dort draußen schon. Jeder weiß es. Und wenn sie an diesem Tag auf die Jagd gehen, ohne daß Reittiere und Hunde erscheinen. Sie wissen es.«
»Wenn wir also eine Einladung schicken würden, mit folgendem Wortlaut: ›Am dritten Abend des Sprungs erbitten wir Ihre Anwesenheit bei…‹«
»So etwas ist noch nie vorgekommen«, murmelte Persun. »Falls Ihr Gemahl dazu entschlossen ist, wäre es einen Versuch wert. Ansonsten sollten Sie bis zum Sommer warten, wenn die Jagdsaison beendet ist. Dann können Sie Ihren Empfang zwischen die Sommerbälle legen.«
Rigo wollte indes nicht bis zum Sommer warten. »Bis dahin sind es ja noch über anderthalb Terrajahre«, sagte er. »Wir müssen uns Informationen von den bons beschaffen, Marjorie. Wir haben keine Zeit mehr. Wir werden alles vorbereiten und die Einladungen verschicken, sobald die Einrichtung komplett ist. Bon Haunser wird mich sicherlich darauf hinweisen, falls wir gegen die hiesigen Gebräuche verstoßen haben.«
Die Einladungen ergingen per Telly an alle Estancias. Erstaunlicherweise, zumindest für Marjorie, erfolgte umgehend und in großer Zahl eine Bestätigung der Einladung. Sie wurde von Lampenfieber gepackt und ging nach oben in die Sommerräume, um ihr Selbstvertrauen wiederzuerlangen.
Die Winterquartiere waren nicht mehr wiederzuerkennen. Obwohl sie noch immer kühl wirkten, glühten sie nun in allen Farben des Spektrums. Vom Gewächshaus des ursprünglich halb verfallenen Dorfes – das auf Geheiß von Rigo wiederaufgebaut worden war – waren große Gebinde mit Blumen von fremden Planeten geliefert worden. Terranische Lilien und Semelen von Semling ergaben zusammen mit Büscheln von Silbergras große, duftende Sträuße, die sich endlos in den Doppelspiegeln spiegelten. Marjorie hatte Holo-Aufzeichnungen von Kunstgegenständen bereitgestellt, welche die Yrariers auf Terra zurückgelassen hatten, und nun glühten Duplikate der Originale an den Wänden und auf Sockeln, die inmitten der wertvollen Möbel verteilt waren.
»Das ist aber ein schöner Tisch«, sagte sie und fuhr mit den Fingern über das satinartige, blau schimmernde Holz.
»Danke, Lady«, sagte Persun. »Mein Vater hat ihn gemacht.«
»Woher bekommt er denn das Holz; stammt es von Gras?«
»Er importiert das meiste. Obwohl sie immer von Tradition sprechen, möchten die bons ab und zu doch einmal etwas Neues. Die Gegenstände für den Eigengebrauch fertigt er aber aus dem Holz des Sumpfwaldes. Dort gibt es einige sehr schöne Hölzer: den sogenannten. ›Blauen Schatz‹ und noch eine pastellgrüne und violette Variante des Clume-Baums.«
»Ich kenne niemanden, der sich in den Sumpfwald wagen würde.«
»Oh, wir gehen auch nicht hinein. Der Wald hat eine Länge von hundert Meilen, und diese Bäume wachsen am Waldrand. Wir schlagen aber nicht viel Holz. Für die Täfelung Ihres Arbeitszimmers verwende ich auch ein paar einheimische Hölzer.« Er hatte Stunden damit verbracht, die Hölzer für das Arbeitszimmer auszuwählen. Nun sehnte er sich nach ihrem Lob.
»So, so«, sagte sie versonnen. Draußen, auf der Terrasse, ging eine schlanke Gestalt rastlos auf und ab: Eugenie. Einsam. Kindlich. Mit gesenktem Kopf, wie eine verwelkte Blume. Marjorie berührte das Gebetbuch und rief sich gewisse Tugenden ins Bewußtsein. »Würden Sie mich für einen Augenblick entschuldigen, Persun?«
Er verneigte sich wortlos, und sie verließ ihn, wobei er sich bemühte, ihr nicht hinterherzustarren.
»Eugenie«, begrüßte Marjorie sie mit bemühter Herzlichkeit. »Wir haben uns seit unserer Ankunft ja kaum gesehen.« Auf Terra hatten sie überhaupt keinen Kontakt gehabt, aber dies hier war eine andere Welt und mit den Verhältnissen zu Hause überhaupt nicht zu vergleichen.
Die andere Frau errötete. Rigo hatte sie nämlich instruiert, sich vom Haupthaus fernzuhalten. »Ich dürfte gar nicht hier sein. Ich dachte
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