Monströse Welten 1: Gras
es ist selbst ganz erstaunt, wenn es passiert.«
»Sie sollten ›sie‹ sagen«, korrigierte Eugenie. Das hübsche Ding war genauso eine Frau, wie sie eine war, und hatte fast ihre Statur.
»Nun, auch in dieser Hinsicht kann man unterschiedlicher Ansicht sein. Aber ich tendiere dazu, Ihnen zuzustimmen, und im stillen bezeichne ich sie auch als ›sie‹, müssen Sie wissen. Außerdem ist sie ein richtig verspieltes Ding. Sie mag es, einen Ball umherzurollen und mit einem Bommel zu spielen, der an einer Schnur hängt.«
»Wie ein Kätzchen«, schnurrte Eugenie. »Glauben Sie, ich dürfte sie behalten?«
Selbst wenn sie es nicht dürfte, wäre es dann deren Problem, sagte Jandra sich, und nicht mehr das ihre, welches das Gänsemädchen bisher dargestellt hatte, sie beziehungsweise es mit dem schönen Haar, dem grazilen Körper, dem lieben Gesicht und dem Kopf, der keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie hatte gesehen, wie Jelly am Abend zuvor das Mädchen auf diese gewisse Art angeschaut hatte, und am liebsten wäre sie das Mädchen gestern schon losgeworden, Ethik hin oder her. Und dennoch, wenn Eugenie jemand anders gewesen wäre – zum Beispiel Marjorie Westriding –, hätte Jandra Bedenken gehabt, ihr das Gänsemädchen als Haustier zu überlassen. Jemand wie Lady Westriding – Jandra war von Roald Few umfassend informiert worden, wie auch alle anderen mit einem funktionierenden Gehör – würde unter allen Umständen versuchen, die Herkunft des Mädchens zu ermitteln und dem armen Wesen das Leben zur Hölle machen. Und man konnte sie auch nicht einem Mann zur Verwendung überlassen, obwohl ihr das immer noch lieber gewesen wäre, als wenn Jelly dieser Benutzer gewesen wäre.
Also Eugenie. Nun, sie führte kein ausschweifendes Leben und war anscheinend auch nicht der Typ, der herumschnüffelte oder Schuldzuweisungen vornahm. Sie würde das Wesen weder mißbrauchen noch der Frage nachgehen, woher das Mädchen stammte oder was sie nach Portside unter Duckys Wäscheleine verschlagen hatte. Sie würde sie nur als lebensgroße Gliederpuppe betrachten, mit einem schönen Schopf zum Frisieren, die man anziehen und mit der man spielen konnte. In Jandra Jellicos Augen hätte das Gänsemädchen es gar nicht besser antreffen können, und damit hatten ihre noch kürzlich gehegten Befürchtungen sich erledigt.
Einer von Roald Fews Arbeitern brachte Eugenie und ihr neues Haustier zurück nach Opal Hill und setzte sie hinter dem Kaleidoskop ab, von wo aus Eugenie ihr kleines Haus erreichte, ohne gesehen zu werden. Eugenie hatte bereits ein Dutzend Pläne für Gänsemädchen. Unter anderem wollte sie ihr auch Tanzunterricht geben, doch absolute Priorität hatte das Schneidern von exquisiten Gewändern sowie die Wahl eines neuen und klangvollen Namens.
Marjorie klopfte an die Tür von Rigos Arbeitszimmer und trat auf seine Aufforderung hin ein. »Bin ich zu früh da?«
»Komm rein«, sagte er mit vor Müdigkeit verwaschener Stimme. »Asmir ist noch nicht hier, aber ich rechne jeden Moment mit ihm.« Er stapelte einige Unterlagen aufeinander, steckte sie in eine Kassette, gab einen Befehl ein und schaltete den Computer aus. In der Ecke des Raums driftete das mit bunten Bändern verzierte Telly. »Du siehst so müde aus, wie ich mich fühle.«
Sie lachte gekünstelt. »Mir geht es gut. Stella schmollt mal wieder. Vor einiger Zeit bat ich Persun, sie mit ins Dorf hinunter zu nehmen; ich hatte gehofft, daß sie dort vielleicht einen Spielkameraden findet. Sie ist ein paarmal dort gewesen und will jetzt nicht mehr hin. In ihren Augen leben dort nur Hinterwäldler und strohdumme Ignoranten.«
»Nun, vielleicht stimmt das sogar.«
»Selbst wenn…«, wollte sie sagen und eine Bemerkung über den Stolz abgeben, bis ihr noch rechtzeitig einfiel, daß Rigo das nicht gern gehört hätte. »Tony sieht das anders. Er findet dort Anschluß.«
»Vielleicht findet Stella auf dem Empfang eine verwandte Seele.«
Marjorie schüttelte den Kopf. »Wir erwarten niemanden in Stellas Alter.«
»Wir haben doch alle Familien eingeladen.«
»Trotzdem kommt niemand in Stellas Alter«, wiederholte sie. »Es hat fast den Anschein, als ob sie keine… keine Fraternisierung zulassen wollten.«
Zornesröte überzog sein Gesicht. »Verdammte, bornierte…« Seine Stimme wurde zu einem unartikulierten Grollen, das zum Glück durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen wurde.
Ein Diener meldete das Erscheinen von Asmir Tanlig, der seit dem
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