Monströse Welten 2: Hobbs Land
Billa. Ich werde Lebewesen erschaffen, die mit mir singen. Also sang Billa-Die-Bedürftige ein Lied mit dem Namen Er-Ist-Erschaffen. Dann sang Billa-Die-Bedürftige ein weiteres Lied mit dem Namen Sie-Setzt-Die-Schöpfung-Fort. Und Er-Ist-Erschaffen war ein Mann und Sie-Setzt-Die-Schöpfung-Fort war eine Frau, und die beiden gingen hinaus in die Leere, wo sie mit Billa-Der-Bedürftigen sangen, bis die ganze Leere mit ihrem Gesang erfüllt war.
Er-Ist-Erschaffen hörte das Lied und war’s zufrieden, doch Sie-Setzt-Die-Schöpfung-Fort schmückte das Lied aus und machte viele Welten daraus, groß und klein; um die feurigen Lieder drehten sich langsamere Lieder, und um diese drehten sich wiederum getragene Weisen, und die Musik verdrängte jedes andere Geräusch, so daß die Lieder sich in der Stille drehten. Zufrieden betrachtete Billa-Die-Bedürftige ihr Werk und sagte: »Nun mögen die Dinge ihren Lauf nehmen, die Zeit soll entstehen, und der Zweck meines Daseins wird sich erfüllen.«
Doch Er-Ist-Erschaffen war unzufrieden, denn es herrschte Chaos auf den Welten, und das verursachte ihm großes Unbehagen.
»Zwischen den Welten herrscht friedliche Stille«, sagte er und zog sich von den Welten zurück, »und dort werde ich Zuflucht suchen.«
Also umkreiste Billa-Die-Bedürftige die Welten und beobachtete, wie die Dinge sich entwickelten, während Er-Ist-Erschaffen sich in die Stille zurückzog und Sie-Setzt-Die-Schöpfung-Fort der Sangeskunst frönte; und so wurden alle Welten bevölkert. So sagen die Gharm, so sei es, coribee.
* * *
Als der Türmelder ertönte, sprangen alle drei auf. »Es kommt jemand!« blökte die mechanische Stimme wie ein Blech, das im Wind klappert.
Liva bedeutete den anderen, sich wieder hinzusetzen. »Ich werde nachsehen«, sagte sie.
»Vorsicht«, sagte ihre Mutter, aus Erfahrung schlau geworden. »Öffne erst dann, wenn du weißt, wer es ist.« Nicht einmal hier in Fenice gab es völlige Sicherheit. Nicht wenn die Männer von Voorstod entschlossen waren, jeden Gharm zu töten, dessen sie habhaft wurden. Niemand wußte, wie viele Unschuldige dem pervertierten Stolz der Voorstoder schon zum Opfer gefallen waren? »Vorsicht«, wiederholte Stenta also.
»Ja, Mama-Gem«, erwiderte Liva. Sie schaute durch den Türspion und sah einen Mann in königlicher Livree, der ein Paket in der Hand hielt. »Ihr Kleid für das Konzert, Mama-Gem! Vom Hofschneider der Königin.«
Liva öffnete die Tür und reichte dem Boten einen Finger, der schmerzlos eine winzige Gewebeprobe als ›Quittung‹ nahm. Dann erhielt sie das Paket. Der königliche Bote trat ein und öffnete das Paket für sie, um ihr die Unbedenklichkeit des Inhalts zu demonstrieren. Dieses Prozedere hatte Königin Wilhulmia angesichts der Terroraktionen, die immer wieder von Voorstodern ausgeführt wurden, angeordnet.
Mit dem Paket in einer Hand und das Kleid über beide Arme gehängt, betrat Liva wieder den Innenraum. Das mit Juwelen besetzte Gewand glitzerte in allen Farben des Regenbogens.
»Oooh«, sagte Stenta, die das Kleid nur ohne den Edelsteinbesatz kannte, den phansurische Juweliere nachträglich angebracht hatten. »Oooh.«
Die hochgeschlossene Vorderseite des Kleides war mit zwei einander zugewandten Vögeln verziert, wobei das Gefieder der Köpfe und die Schwingen sich über die Schultern beziehungsweise um die weiten Ärmel legten. Die Schwanzfedern reichten bis hinunter zum Saum; jede Feder war mit einem Edelstein besetzt. Die Rückseite des Kleids war vom Halsabschluß bis zum Saum mit Schmetterlingen verziert, wobei eine aus phansurischer Seide bestehende Sitzfläche ausgespart war. Bei den Vögeln handelte es sich um die Clan- Tchenkas von Stentas Vater. Stentas Eltern waren Schmetterlings- beziehungsweise Vogel-Leute, obwohl es dort, wo diese Familien schon seit Generationen lebten, weder Schmetterlinge noch Vögel gab. Das zum Kleid gehörende Halsband war mit einem stilisierten, aus Perlen bestehenden Frosch verziert. Der Frosch war Stentas persönlicher Tchenka. Das Kleid selbst war scharlachrot und gelb, mit allen dazwischenliegenden farblichen Abstufungen: bordeauxrot und gold, pink und melone, orange und ocker.
Stilistisch betrachtet stellte das Kleid eine Adaption des traditionellen Festgewands der Gharm dar, obwohl niemand wußte, wann sich zuletzt ein derart festlicher Anlaß geboten hatte. Sarlia strich über die Perlen und bewunderte ihre kühle, feste Oberfläche, die fließendem Metall
Weitere Kostenlose Bücher