Monströse Welten 2: Hobbs Land
ihr Werk, das mannshoch auf dem Sockel stand: dunkel, zerklüftet und eckig, wie die surrealistische Darstellung einer humanoiden Form. Es hatte nichts, was man als Kopf oder Glieder hätte deuten können, und doch verströmte das Gebilde eine Aura der Autorität. Ein Laut drang aus dem Sockel, ein fast unhörbares Flüstern, als ob etwas sich in dem Stein bewegen würde. Dann erschienen trübe Lichtpunkte am Fuß des Dings, wanderten langsam nach oben und erloschen schließlich.
Eine schwarzweiße Katze erschien im Raum. Sie hatte einen lebendigen ferf im Maul. Sie sprang auf den Sockel und legte das Tier an der Basis der Skulptur ab. Dann verließ sie laut schnurrend die Kammer. Zwei weitere Katzen tauchten auf und boten dem Gebilde ähnliche Gaben dar.
»Das war Gotoits Katze«, sagte Jep nach einer Weile. »Die getigerte. Sie heißt Lucky.«
Samstag nickte und wischte ein paar ferf- Haare vom Sockel. Die Körper der ferfs waren zwischenzeitlich lautlos von dem Ding eingesogen worden.
»Der Gott war hungrig«, sagte Jep. »Wir sind Diejenigen Welche, die ihn versorgen werden.«
»Ich glaube, darum werden die Katzen sich schon kümmern«, erwiderte Samstag.
»Und warum haben die Katzen sich nicht schon früher um die Götter gekümmert? Um Bondru Dharm?«
»Bondru Dharm hatte keinen Bezug zu Katzen«, erklärte Samstag. »In Bondru Dharms Jugend gab es hier keine Katzen. Aber wir haben Katzen, und weil Birribat einer von uns war, werden die Katzen ihn mit Nahrung versorgen. Und wir als Diejenigen Welche werden uns um alles andere kümmern.«
5
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Unter den Hoch-Baidee, die so gewissenhaft und hart arbeiteten, daß sie kaum noch Zeit für Kontemplation hatten, gab es indes auch einige, für die der Glaube sich nicht bloß in der Einhaltung der Kleiderordnung und Nahrungsmittelvorschriften erschöpfte. Sie praktizierten die vierhundert Gebote und rezitierten tagtäglich die Worte der Prophetin. Sie waren Sektierer, ultraorthodoxe Anhänger des Overmind, die unbeeinflußt von außerweltlichen Dingen ihrem Glauben frönten.
Einer dieser Fanatiker war Shan Damzel, was seine Familie indes nicht wußte. Sein Freund und Mentor, Howdabeen Churry, gehörte derselben Richtung an. Obwohl sie fast gleichaltrig waren, betrachtete Shan sich als Churrys Schüler und bezeichnete ihn konsequenterweise als Lehrer; allerdings nur, wenn sie unter sich waren. Es war ihr Geheimnis, und wenn er das Wort Lehrer aussprach, fühlte er sich richtig verrucht, wie ein kleiner Junge, der ein neues unanständiges Wort gelernt hatte. Wie Evangelist, Missionar, Apologet oder Advokat war auch Lehrer ein Wort, das als außerweltlich geächtet war. Die Hoch-Baidee bevorzugten Begriffe wie Lektor, Expositor oder Kommentator, die nicht mit Zwang besetzt waren. Nahm jemand das Wort Lehrer in den Mund, so gelangte der Hörer womöglich noch zum Schluß, daß jemandem etwas gelehrt wurde, was indes kein rechtgläubiger Hoch-Baidee toleriert hätte. Erklärungen wurden akzeptiert. Belehrungen hingegen nicht. Ausgenommen natürlich religiöse Paradigmen. Oder militärische.
Howdabeen mißbilligte es, wenn Shan ihn als Lehrer titulierte. »Ich helfe dir vielleicht bei der Gliederung deiner Gedanken«, pflegte er darauf zu entgegnen. »Ich lasse deine Überlegungen vielleicht in einem anderen Licht erscheinen, aber ich bin nicht bestrebt, dich von der Richtigkeit meiner mentalen Prozesse oder den daraus gewonnenen Einsichten zu überzeugen.« Zumal er das auch gar nicht nötig hatte. Trotz seines jugendlichen Alters von knapp über zwanzig Jahren verströmte er bereits ein enormes Charisma. Allein schon durch diesen Umstand erlangte er eine Glaubwürdigkeit, wie sie auch Schauspielern und Demagogen zu eigen ist: Er wirkte dermaßen überzeugend, daß er nie den Beweis für seine Behauptungen antreten mußte. Dabei war Howdabeen nicht einmal ein sonderlich attraktiver Mann. Es waren vielmehr der klare Blick und der reine Teint, die Indizien für einen gesunden Geist in einem gesunden Körper waren. Wo andere mechanisch »Dinge geschehen, nicht schuldig« skandierten, stieß Howdabeen diese Worte mit wahrer Inbrunst aus. Er war unschuldig, denn sein Herz war rein. Er war sich seiner Reinheit wie auch seiner lauteren Gesinnung unbedingt sicher, und er bewahrte sich diese Korrektheit durch ständige Selbstkritik und die
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