Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
wiederholte Ted.
Wie oft hatte er sich diese Situation vorgestellt? Wie oft hatte er sich genau das gewünscht: Emma hier, Tina weit weg. Auf unbestimmte Zeit. In seiner Vorstellung hatte er seine Tochter dann auf die Schultern gehoben, war mit ihr durch die Wohnung getanzt, sie hatten sich eine Kissenschlacht geliefert, sich gegenseitig mit Schlagsahne bekleckert, sie hatten gefeiert und gelacht. Nie waren sie einfach so dagestanden, mit hängenden Armen. Er schaute seine Tochter an, als wüsste sie, was als Nächstes käme.
Emma gab sich einen sichtbaren Ruck. «Erst räumen wir alles in mein Zimmer», sagte sie. «Dann nehme ich ein Bad. Und dann bestellen wir Pizza.» Sie atmete tief durch. «So machen wir’s.»
«Genau so», sagte Ted.
Marie
Bin im Yoga! Sie klappte ihr Handy zu. Sie stellte sich vor, wie Gion auf «erneut senden» drückte. Denn seine Nachricht war jeden Tag dieselbe. Er war «im Yoga». In ihrem Yoga. So sollte sie nicht denken. Mein Yoga, dein Yoga, Yoga ist für uns alle da. Leider hatte Marie außer medizinischen Lehrbüchern und anatomischen Karten auch Werbesprüche gespeichert. Weil ich es mir wert bin. Du darfst!
Sie hätte die Anfängerstunde um halb sechs besuchen können, die ihr letzte Woche überraschend gut getan hatte. Die langsamen Abläufe hatten alle Schubladen, alle Hängeregister in ihrem Kopf geschlossen, bis nur noch der Atem da war. Einen Augenblick lang hatte sie sich vergessen.
Sie merkte zu spät, dass sich die anderen bereits aus dem abwärts schauenden Hund in die Kriegerstellung bewegt hatten, dass sie als Einzige noch ihren Hintern in die Luft reckte. Wieder diese Blicke, sie konnte sie spüren wie Hände, ärgerlich richtete sie sich auf. Sie drehte das Knie nach außen, streckte die Hände aus, und dabei schaute sie über die Schulter nach hinten. Schaute dem Mann, der da stand, in die Augen: Ich weiß, was du tust, sagte ihr Blick. Du geilst dich an meinem runden, festen Hintern auf und gehst dann mit einem Klappergestell nach Hause. Glaub nicht, du seist der Erste. Ich kenne dich!
Ted. Er hieß Ted. Sie hatte ihn nett gefunden. Normal. Normal war gut. Die Anfängerstunde begann um halb sechs, ihr Dienst dauerte heute bis fünf. Sie hätte es schaffen können, aber sie trödelte noch herum. Diktierte Notizen, unterschrieb Akten, nichts, was sie nicht auch morgen hätte tun können. Um halb sechs stand sie auf und ging nach Hause.
Das war einmal ihre Wohnung gewesen. Sie schaute sich um. Das Sofa war zum Bett ausgezogen und mit Kleidungsstücken, Kopfhörern, Laptop, Telefonen, Schuhen, Schminksachen und Büchern übersät. Der Fernseher lief in voller Lautstärke. Marie sah sich nach der Fernbedienung um, fand sie nicht und schaltete den Kasten von Hand aus.
«Hey! Das wollte ich noch zu Ende sehen!» Stefanie stand im Zimmer. Sie trug einen rosa Badeanzug und Wollsocken. Sie sah nicht aus wie ein dreizehn Jahre altes Kind.
«Warum hast du in der Wohnung einen Badeanzug an?»
«Mann! Du verstehst gar nichts. Das ist ein Teddy! Ein Homedress!»
Stefanie warf sich auf das Sofabett. Diverse Gegenstände hüpften in die Luft, unter anderem die Fernbedienung. Stefanie klickte ein paarmal vergeblich und schaute dann Marie an. Mit einem schwarzen Blick. Als hätte sie ihren Hamster verhungern lassen.
Was Marie getan hatte. Vor zwei Jahren. Eine sechsunddreißigstündige Schicht im Krankenhaus, die das ihr anvertraute Tier ohne Futter nicht überlebt hatte. Damals hatte Stefanie ihr verziehen. Damals waren sie sich näher gewesen. Marie wünschte sich, sie könnte die Zeit zurückdrehen und da anhalten, wo sie am glücklichsten gewesen war. Die glücklichste Frau der Welt.
Gion hatte sich von seiner Frau getrennt, er hatte sich für sie entschieden, die ersten Folgen von Das Vorstadtspital mit Dr. Marc Santana waren ausgestrahlt worden. Sie hatten gefeiert. Und dann hatte er auch endlich Stefanie wiedersehen dürfen, nachdem er in einem Interview tränenreich sein Leid als geschiedener Vater geklagt hatte, der sein Kind so sehr vermisste. Empörte Fans füllten Leserbriefseiten, und Internetkommentare bezeichneten seine Ex als schlechte Verliererin, schlimmer noch, als schlechte Mutter. Das konnte Eva nicht auf sich sitzenlassen. Sie willigte in Wochenendbesuche ein. Gleich beim ersten Mal waren Marie und Stefanie miteinander allein gewesen, Gion hatte eine Szene nachdrehen müssen. Mit elf war Stefanie ein ernsthaftes Kind, mit dicken
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