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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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das für euch, was bedeutet es in eurem Alltag?»
    Ted blieb beim ersten Yama hängen. Ahimsa. Gewaltfreiheit. Wieder fiel ihm eine Szene aus der WG ein, in der er aufgewachsen war. Es hatte seit Tagen geregnet, die Kinder waren im Haus eingesperrt gewesen, unruhig und schlecht gelaunt. Einige der Größeren hatten im Gemeinschaftszimmer gelesen. Zwei Mädchen saßen am Boden und tauschten ihre Romane von Federica de Cesco nach jedem Kapitel aus. Ted saß auf dem Fensterbrett und zeichnete in ein Heft. Dann kam ein drittes Mädchen herein. Verwirrt hatte Ted zugeschaut, wie die beiden, eben noch ganz in ihre Bücher vertieft, plötzlich nahe zueinanderrutschten und sich gegenseitig ins Ohr flüsterten. Dabei schauten sie immer wieder zu dem dritten Mädchen hinüber, das unsicher wurde. Ted konnte hören, dass die anderen beiden nur Flüstergeräusche machten mit den Lippen. Sie sagten gar nichts. Sie wollten das neue Mädchen nur glauben machen, sie hätten gerade über es geredet, und zwar nichts Schmeichelhaftes. Das Mädchen drehte sich um und lief weinend aus dem Zimmer.
    «Warum macht ihr das?», rief Ted. «Ihr seid so gemein!» Die Mädchen schauten ihn nur mitleidig an und wandten sich dann wieder ihren Büchern zu. Ted sprang vom Fensterbrett und rannte aus dem Zimmer. Im Gehen trat er wütend gegen eine Wand. Eine der Mütter, die gerade vorbeikam, zählte eins und eins zusammen: ein weinendes Mädchen, ein wütender Bub. Am Abend gab es eine WG-Konferenz, bei der Teds Gewaltbereitschaft diskutiert wurde. Sein Zeichenheft voller Superhelden und Phantasiewaffen, liebevoll bis ins Detail ausschraffiert, wurde als Beweismaterial gegen ihn verwendet. Man schlug therapeutische Maßnahmen vor. Er wurde zum Küchendienst eingeteilt und würde ab sofort nur noch Mädchenbücher lesen dürfen.
    Satya. Wahrheit. Wahrhaftiger Ausdruck in Worten, Gesten, Gedanken. Später, als er in normalen Verhältnissen in einer normalen Umgebung wohnte, hatte er in einem Aufsatz zum Thema Was ich später einmal werden will geschrieben, er wolle ein guter Mensch werden und keinen Schaden anrichten. Das hatte ihm den Hohn seines Stiefvaters eingebracht. «Mein Junge, wenn du ein Omelett machen willst, musst du schon ein paar Eier zerschlagen!» Ted hatte trotzdem daran festgehalten. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht so einfach war, keinen Schaden anzurichten.
    «Sie, Herr Flubacher, was ist das?» Ted ging zu Elvira hinüber. Auf den aufgeschlagenen Seiten ihres Hefts verharrte reglos ein großer, schwarzgrün schimmernder Käfer. Vorsichtig streckte sie das Heft von sich weg. Der Käfer bewegte träge seine Fühler.
    «Iiih!», kreischte Manuela. Zwei Mädchen, die auf dem Waldboden gekauert hatten, schossen hoch und sprangen zurück, stießen dabei Manuela um, die mit einem empörten Schrei auf dem Waldboden landete. Elvira ließ das Heft fallen, und der Käfer entkam.
    «Iiiih! Meine Hose ist ganz nass!» Manuela begann zu weinen.
    «Du blöde Tusse!», schrie Elvira.
    «Nun beruhigt euch mal», sagte Ted. Er half Manuela auf, deren hellrosa Leggins voller dunkelbrauner Flecken waren, die die anderen Mädchen zischend kommentierten: «Hast du in die Hose gemacht, Manu?»
    «Und mein Heft?», schrie Elvira. Sie hob es auf: Jemand war auf die sauber beschriebenen Seiten getreten, hatte sie zerrissen und beschmutzt. Unterdessen hatten die Buben angefangen, zu rangeln, sich gegenseitig in den Bach zu schubsen, zwei von ihnen waren schon tropfnass. Es war Zeit, die Übung abzubrechen. Ted klatschte rhythmisch in die Hände, bis endlich alle still waren und zu ihm hinschauten. Ein Trick, den er mit jedem neuen Klassenzug einübte. Wann immer das Chaos, Lärm und Geschwätz überhandnahmen, unterbrach er sich und klatschte so lange einen einfachen Rhythmus, bis die Kinder einfielen. Erst wenn alle mitklatschten, wenn er die Aufmerksamkeit jedes Einzelnen wiederhatte, führte er den Unterricht fort. Ohne zu schimpfen, ohne auf die Unterbrechung einzugehen. Diese Viertklässler unterrichtete er erst seit einem knappen Jahr. Es dauerte eine Weile, bis sich alle um ihn geschart hatten. Doch endlich klatschten sie. Fast alle.
    «Sie, Herr Flubacher, ich kann aber nicht klatschen!» Mirko hielt seine Hand in die Höhe und schaute entgeistert auf seinen Mittelfinger, der vom obersten Glied an im rechten Winkel abstand.
    «Stinkefinger!», rief Lars, und die Jungen johlten.
    Ted musste nicht genauer hinsehen, um zu wissen, dass der

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